Schluss mit Siegen oder Verlieren

Gemeinfrei via Unsplash/ Dan Burton

Schluss mit Siegen oder Verlieren
Gedanken zur Woche von Pfarrer Jörg Machel
13.10.2023 - 06:35
27.01.2023
Pfarrer Jörg Machel
Über die Sendung:

Die Gedanken zur Woche im DLF.

Sendung zum Nachhören:
Feedback zur Sendung? Hier geht's zur Umfrage! 
Sendung zum Nachlesen:

Siegen oder Verlieren. Das ist die Logik, nach der Kriege geführt werden, immer schon.  Seit Menschengedenken agieren die Staaten in den Kategorien des Krieges. Von Julius Caesars „Gallischem Krieg“ über Clausewitz mit seiner Schrift „Vom Kriege“ bis zu den Analysten, die nach jedem Militärschlag in den Abendnachrichten die aktuelle Gefechtslage erläutern, immer wird in dieser Alternative gedacht: Wer gewinnt gerade und wer ist am Verlieren?

Im Zeitalter von Kernwaffen und automatisierter Kriegsführung müssen wir dieses über Jahrtausende eingeübte Denkmuster verlassen, wenn wir als Menschheit bestehen wollen.

Ich will mich nicht auf Pro oder Contra reduzieren lassen. Selbst da, wo klar ist, wer angreift und wer sich verteidigt, selbst da, wo mir eine Unrechtslage zunächst absolut eindeutig erscheint, stellt sie sich mir bei genauerem Hinschauen deutlich komplizierter dar.

Dann kann ich zwar konkrete Schuld feststellen. Ich bin entsetzt über Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Sehe ganz klar, dass der Angriff der palästinensischen Hamas gegen Israel barbarisch ist. Aber je brutaler all diese Kriege geführt werden und je weiter sie ausufern, desto mehr beschäftigen mich die uneindeutige Vorgeschichte, die wenig beleuchteten Nebenaspekte und die fernen Nutznießer.

Meine ganz besondere Aufmerksamkeit aber gilt den unschuldigen Opfern, egal auf welcher Seite. Ich versuche herauszufinden: Welcher Mensch, welche Partei verhält sich menschlich. Ich weiß, dass dies mit dem Abstand von einigen tausend Kilometern im sicheren Deutschland einfach ist. Umso mehr bewundere ich Menschen, die auch im Krieg noch zu differenzieren vermögen und nach dem suchen, was zum Frieden führt, jenseits vom Töten, jenseits vom Siegen oder Verlieren.

Am Freitag vor einer Woche, als die Hamas Israel überfallen hat und die Bilder von ermordeten und entführten Zivilisten um die Welt gingen, sendete 3Sat ein ausführliches Interview mit dem israelischen Philosophen Omri Boehm. Er fordert einen „radikalen Universalismus, jenseits von Identität“. Er sieht im Universalismus eine „rettende Alternative“.

Die Sendung war voraufgezeichnet, man wusste also noch nichts vom Ausbruch des Krieges. Omri Boehms Worte gaben mir trotzdem oder gerade deswegen Orientierung. Er fordert sehr konsequent die universale Gültigkeit der Menschenrechte ein. Er bekräftigt: Wir alle sind Bewohnerinnen und Bewohner der einen Erde. Wir haben alle gleiche Rechte. Das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit. Das Recht auf Zukunft.

Die Welt war schon einmal viel weiter. 1993 haben Israelis und Palästinenser nach viel Blutvergießen Frieden geschlossen, das Osloer Friedensabkommen. Jassir Arafat, Verhandlungsführer der Palästinenser, nannte es einen Frieden der Mutigen. Yitzchak Rabin, der damalige Ministerpräsident Israels, sagte eindrücklich: „Wir, die gegen euch, die Palästinenser, gekämpft haben, sagen euch heute mit klarer Stimme: Genug der Tränen und des Blutes. Genug.“ Das ist 30 Jahre her. Es kam schrecklich anders.

Dennoch, ich halte daran fest: Wir alle bewohnen diese Erde gemeinsam. Und als Christ sage ich, wir alle sind Kinder Gottes und nichts berechtigt uns, die eigene Sicherheit, die eigene Unversehrtheit, die eigenen Interessen über die der anderen zu stellen.

Es gilt das gesprochene Wort.

Weitere Infos

27.01.2023
Pfarrer Jörg Machel