Zweiglein der Gottseligkeit

Gedanken zur Woche

Gemeinfrei via unsplash/ Daniels Joffe

Zweiglein der Gottseligkeit
Gedanken zur Woche mit Peter Oldenbruch
26.11.2021 - 06:35
02.09.2021
Peter Oldenbruch
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Die Gedanken zur Woche im DLF.

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Gedanken zur Woche von Peter Oldenbruch

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„Die Zweiglein der Gottseligkeit steckt auf mit Andacht, Lust und Freud!“ So heißt es in der vierten Strophe von „Macht hoch die Tür“. Zweiglein der Gottseligkeit - ich weiß nicht, was sich der Pfarrer und Schulmeister Georg Weissel vor 400 Jahren darunter vorgestellt hat. Ich denke an Adventskranz oder Christbaum. Und: an die Weihnachtsmärkte. So kommerziell und kitschig, wie sie auch sein mögen, es gibt sie dort, die Zweiglein der Gottseligkeit.

 

Zum Beispiel die handbemalten Musikanten-Engelchen aus dem Erzgebirge, die mit den grünen Flügeln und den weißen Punkten drauf. Seit Kindertagen sind sie mir vertraut. Die Verwandten aus Thüringen haben sie uns geschickt. Nach mehr als einem halben Jahrhundert sind die Holzengelchen ziemlich lädiert. Bei einem fehlt ein Arm, bei einem andern das Instrument. Gerne kaufe ich welche nach - auf dem Weihnachtsmarkt natürlich. Der Reiz der Weihnachtsmärkte rührt ja auch daher, „dass Waren, die im Kaufhaus unscheinbar alltäglich angeboten sind, hier vom Budenzauber wie verwandelt erscheinen.“ (1) Dazu der Duftmix aus gebrannten Mandeln, Thüringer Bratwurst und Glühwein.

 

Das ist mehr als Kitsch und Konsum. Auf den Weihnachtsmärkten finden sich eine „ganze Fülle von Zeichen und Inszenierungen, die die Weihnachtssehnsucht […] begehbar […] machen“ (2): die Weihnachtskrippe mit den lebensgroßen Figuren oder Posaunenchöre mit Weihnachtsliedern. Bereits der Lichterzauber spielt aufs christliche Weihnachten an, meine erzgebirgischen Engelchen ohnehin.

 

„Steckt auf mit Andacht, Lust und Freud die Zweiglein der Gottseligkeit, so kommt der König auch zu euch, ja Heil und Leben mit zugleich.“ Das Herz braucht Zweiglein der Gottseligkeit, vielleicht als Weichmacher. Sie inszenieren die Sehnsucht nach „Heil und Leben“.

 

In diesem Jahr wurden viele Weihnachtsmärkte aufgebaut und dann - in Bayern und Sachsen z.B. - wieder abgesagt. In Brandenburg wurden die Märkte eröffnet, vorgestern aber wieder geschlossen. Das wurmt viele. Das trifft deutsche Befindlichkeit mitten ins Herz, meine jedenfalls. Denn die Weihnachtsmärkte sind eben auch Weihnachtsmärkte. Sie bergen Zweiglein der Gottseligkeit, sie inszenieren die Weihnachts-Sehnsucht nach Heil und Leben. Ich brauche die Zweiglein der Gottseligkeit. Sie gehören zu Andacht, Lust und Freud.

 

Und doch: Ich protestiere nicht gegen die Schließung von Weihnachtsmärkten. Was die Ratsvorsitzende der EKD, Annette Kurschus, übers Impfen gesagt hat, trifft auch für die Weihnachtsmärkte zu. Wenn ich mich nicht impfen lasse, meinte Kurschus, „gefährde ich nicht nur mich, sondern auch andere. Unsere individuellen Entscheidungen leben davon, dass sie in das Gemeinwohl eingebettet sind.“

 

Es geht ums Gemeinwohl. Die Aufgabe der Stadträte und Regierungen ists, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden. Und das geht bei der Seuche, die unter uns wütet, offensichtlich allein dadurch, dass Kontakte reduziert und vermieden werden.

 

Das Robert-Koch-Institut rät „dringend dazu, größere Veranstaltungen möglichst abzusagen oder zu meiden“. Die Händler protestieren und verweisen - zu Recht! - auf ihre prekäre Lage. Sie betonen, dass „Veranstaltungen unter freiem Himmel, an frischester Luft nur in seltensten Fällen ein Infektionsgeschehen begünstigen.“

Und an der Glühweinausgabe eben doch!

 

Der Staat wird helfen müssen, die Existenz der Händlerinnen zu sichern.

 

Die Weihnachts-Sehnsucht nach Heil und Leben ist sehr persönlich, aber nie privat. Heil und Leben für mich allein gibts nicht. Friede auf Erde für einen allein ist Blödsinn. Es geht ums Gemeinwohl, um das der Staat sich kümmern muss.

Muss.

 

Und so werde ich dieses Jahr die kaputten Holz-Engelchen ohne neue Engelskolleginnen aufstellen. Und - so Gott will - nächstes Jahr ein paar neue dazukaufen. Auf dem Weihnachtsmarkt natürlich.

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Es gilt das gesprochene Wort.

 

Literaturangaben:

 

  1. Matthias Morgenroth, Weihnachts-Christentum, Gütersloh 2002, S.209.
  2. Martin Kumlehn, Weihnachtsmärkte, in: Thomas Klie (HRSG.), Valentin, Halloween & Co., Leipzig 2006, S. 212.

 

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02.09.2021
Peter Oldenbruch