Kulturgut

North Sentinel Island

NASA Earth Observatory

Kulturgut
Die Gedanken zur Woche mit Pfarrer Jörg Machel
14.12.2018 - 06:35
07.09.2018
Jörg Machel
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Die Gedanken zur Woche im DLF.

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Europa diskutiert, wie die Sünden der Kolonialzeit kompensiert werden können, wie beispielsweise Kultgegenstände aus dem Berliner Völkerkundemuseum oder aus dem Pariser Louvre zurückzuführen sind. Das wäre, wenn auch Jahrzehnte zu spät, sensibel – und viele finden das richtig.

Vor diesem Hintergrund lese ich die Meldung von Ende November: Ein junger Mann wollte als Missionar die „Liebesbotschaft Jesu“ zu den Menschen einer abgelegenen Insel bringen. Er wurde von den Ureinwohnern mit Pfeil und Bogen getötet. Misst man mit westlichem Maß, war es Mord. Ich sehe darin einen Akt der Notwehr.

 

Auf der Insel Nord Sentinel, da, wo der junge Mann starb, lebt das letzte unbeforschte Volk auf der Stufe von Steinzeitmenschen. Und weil es eine Insel ist, weil die indische Regierung dieses Eiland zum Sperrbezirk erklärt hat, weil auch Anthropologen, Mediziner, Soziologen und Staatsbeamte sich in Zurückhaltung üben, hat dieses kleine Volk der Sentinelesen überlebt.

Diese Volksgruppe besteht aus einigen Dutzend Personen und ihre Existenz ist gefährdet: Zuallererst dadurch, dass fremde Eindringlinge Krankheiten einschleppen. Krankheiten, gegen die die meisten Menschen zwar immun sind, die für die abgeschieden lebenden Insulaner aber tödlich sein können. Gefährdet sind die Sentinelesen zum Anderen schlicht dadurch, dass sie den Kultursprung von der Steinzeit in die Neuzeit nicht bewältigen.

 

Von John Allen Chau, dem getöteten 27-jährigen Missionar, wird berichtet, dass er sich der Gefahr bewusst war. Schon einmal hatte er versucht, mit den Insulanern Kontakt aufzunehmen – und war mit Pfeilen beschossen worden. Großherzig vergab er den Eingeborenen für den Fall seines Todes, denn noch habe sie die Jesusbotschaft ja nicht erreicht.

 

Für mich spricht daraus die koloniale Arroganz des 19. Jahrhunderts. Der Missionar trägt das Heil zu den Heiden. Und wenn sie dabei zugrunde gehen sollten, so ist den Missionierten doch die ewige Seligkeit gewiss. Ihre alten Götter nehmen wir mit und stellen sie bei uns in die Museumsvitrine.

 

Es gibt allerdings einen Satz in der Bibel, der zu diesem furchtbaren Missverständnis geradezu einlädt. Jesus sagt da: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben, niemand kommt zum Vater, denn durch mich.“ Wahrscheinlich sah sich John Allen Chau auch durch dieses Bibelwort legitimiert, geradezu herausgefordert, die Jesusbotschaft auch in diesen letzten Winkel der Welt zu tragen. Doch wenn Jesus sagt: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“, so spricht da ein Mann, der den andersgläubigen Samariter Samariter sein ließ, der Respekt zeigte vor der Eigenart eines jeden Menschen.

 

Jesus ging es niemals darum, seine Selbstgewissheit herauszuposaunen, sich selber groß und andere klein zu machen. Jesus wehrte sich gegen die buchhalterische Selbstgenügsamkeit seiner Gefolgsleute.

 

Deshalb meine ich, dass die Worte Jesu so zu verstehen sind: Schaut auf mich und darauf wie ich lebe – und erkennt, welchen Weg ihr gehen müsst, wo die Wahrheit zu finden ist und wie man richtig lebt.

 

Wir wissen nicht, nach welchen Regeln die Sentinelesen leben und was sie glauben. Und ich bin froh über die Zurückhaltung der indischen Regierung, dass sie sogar dafür sorgt, diese Menschen vor der zivilisierten Welt zu schützen.

 

Durch diesen Vorfall auf den Andamanen am Jahresende 2018 hat die Diskussion über die Rückgabe von Kulturgütern an die Herkunftsvölker aus meiner Sicht noch einmal an Aktualität gewonnen. Nicht nur als Museumsbesucher sehe ich mich in der Verantwortung. Sondern auch als Christ, gegenüber meinen Glaubensgeschwistern genauso wie vor den Menschen anderen Glaubens und anderer Kultur.

 

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Es gilt das gesprochene Wort.

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07.09.2018
Jörg Machel