Lehrermangel

Gemeinfrei via Unsplash/ Ivan Aleksic

Lehrermangel
Gedanken zur Woche von Pfarrer Martin Vorländer
20.01.2023 - 06:35
23.12.2022
Martin Vorländer
Über die Sendung:

Die Gedanken zur Woche im DLF.

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Martin Luther schreibt: „Einem fleißigen, frommen Schulmeister“ – ich ergänze: oder einer fleißigen, frommen Schulmeisterin – der und dem „kann man nimmermehr genug lohnen und mit keinem Gelde bezahlen.“ Luther fährt fort und kritisiert, dass trotzdem der Beruf der Lehrerin, des Lehrers geringgeschätzt wird. Er schreibt: „Dennoch ist’s bei uns so schändlich verachtet, als sei es gar nichts.“ (1)

Worte aus dem 16. Jahrhundert. Aber sie stimmen heute immer noch, sowohl das Lob auf den Lehrberuf als auch die Feststellung, dass vielen nicht klar ist, was Lehrerinnen und Lehrer jeden Tag leisten. Am Mittwoch hat die Robert Bosch Stiftung ihr „Deutsches Schulbarometer“ (2) veröffentlicht. Über eintausend Schulleiterinnen und Schulleiter wurden befragt, was aus ihrer Sicht die größten Probleme sind, mit denen die Schule aktuell zu kämpfen hat.

An erster Stelle steht: Es fehlt an Lehrerinnen und Lehrern. Der Personalmangel an den Schulen überdeckt alle anderen Schwierigkeiten. Schleppende Digitalisierung, schlechte technische Ausstattung, zu viel Bürokratie, zu hohe Arbeitsbelastung – all das fällt weniger ins Gewicht. Es gibt schlichtweg zu wenig Pädagoginnen und Pädagogen, die für die Kinder und Jugendlichen da sein können. Der Beruf muss attraktiver werden. Es mangelt an Wertschätzung und Respekt.

Martin Luther schreibt: „Lass es der höchsten Tugend eine auf Erden sein, fremden Menschen ihre Kinder treulich zu erziehen, welches gar wenige tun und schier niemand an seinen eignen tut.“ (3) Ich lasse das Unterrichten eine höchste Tugend sein und stimme in Luthers Lob auf Lehrerinnen und Lehrer ein.

Als evangelischer Pfarrer habe ich selbst an verschiedenen Schulen unterrichtet. Ich habe hohen Respekt vor dem, was dieser Beruf beinhaltet. Wenn jemand in meinem Freundes- und Bekanntenkreis pauschal über Lehrer schimpft, sage ich: „Stell dich mal vor eine Schulklasse und halte Unterricht! Ich vermute, es reicht eine Woche, und du wirst merken, wie sehr das herausfordert.“

Als Lehrerin und Lehrer muss man immer vieles gleichzeitig im Blick haben: die einzelne Schülerin, den einzelnen Schüler, die Klassendynamik, die mitunter eine geballte ist, den Unterrichtsstoff, das Arbeitstempo, das für die einen nicht zu schnell, für die anderen nicht zu langsam sein darf, die gute Atmosphäre untereinander, so dass möglichst jede und jeder sich wohlfühlt und gut lernen kann. Dazu kommen die Eltern. Deren Unterstützung braucht es unbedingt, damit Schule gelingt. Dem allen bin ich nicht immer gerecht geworden, wenn ich unterrichtet habe. Umso mehr ziehe ich meinen Hut vor denen, die das hauptberuflich machen. 

Gleichzeitig ist Unterrichten ein schöner Beruf. Er steckt voller Überraschungen. Man kann jede Schulstunde zu Hause gründlich vorbereiten. Aber was die Kinder und Jugendlichen daraus machen, auf welche Fragen sie kommen, welche Sprüche sie loslassen, was für Einfälle sie haben, das kann man sich vorher nicht selbst ausdenken.

Heranwachsende haben ein großes Potenzial, sich Neues anzueignen. Martin Luther hat das so beschrieben: „Die jungen Bäumlein kann man besser biegen und ziehen.“ (4) Vom Biegen und Ziehen spricht in der Pädagogik heute, so weit ich sehe, zum Glück niemand mehr. Aber das Bild von den jungen Bäumen drückt aus: Kinder und Jugendliche stehen schon im Leben und haben die Kraft zu wachsen - nicht nur an Körpergröße, sondern auch innerlich - und das zu entfalten, was in ihnen steckt. Wenn man das als Erwachsener miterlebt, kann man nur staunen und dankbar sein.

Was hilft das alles den Lehrerinnen und Lehrern? Was hilft das angesichts des Personalmangels an den Schulen in unserem Land? Ich bin überzeugt: Wertschätzung hilft. Und Respekt. In der Bibel wird jemand, von dem man für sein Leben lernen kann, „Rabbi“ genannt. Aus dem Hebräischen übersetzt bedeutet das „mein Lehrer“. Die Jüngerinnen und Jünger sprechen Jesus so an. „Rabbi, mein Lehrer“, das hat einen achtungsvollen und vertrauensvollen Klang. Es ist großartig, wenn ich zu jemandem sagen kann: Von Ihnen möchte ich was lernen. Bei Ihnen habe ich viel gelernt. Danke dafür!

 

(1) Aus: „Eine Predigt, dass man Kinder zur Schule halten solle“ (1530) in: Luther Deutsch. Die Werke Martin Luthers in neuer Auswahl für die Gegenwart, Band 7: Der Christ in der Welt, hg. v. Kurt Aland, 3. Aufl., Göttingen 1983, S. 256; 257.

(2) Das Deutsche Schulbarometer | Robert Bosch Stiftung (bosch-stiftung.de)

(3) Aus: „Eine Predigt, dass man Kinder zur Schule halten solle“, a. a. O.

(4) Ebd.

Es gilt das gesprochene Wort.

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23.12.2022
Martin Vorländer