Vertrauen und Vernunft

Corona-Impfstoff-Flasche

Gemeinfrei via unsplash/ Hakan Nural

Vertrauen und Vernunft
Übersteigerte Heilserwartung an die Wissenschaft?
19.03.2021 - 06:35
18.03.2021
Eberhard Hadem
Über die Sendung

Die Gedanken zur Woche im DLF.

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Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat Dienstag gesagt: “Um das Vertrauen in den Impfstoff zu erhalten, müssen wir unseren Expertinnen und Experten in Deutschland und der Europäischen Union jetzt die Zeit geben, die jüngsten Vorfälle zu überprüfen.“ Es geht um den Stopp der Impfungen mit dem Impfstoff von AstraZeneca und um die Überprüfung möglicher Risiken.

Jetzt ist das Vertrauen erst recht erheblich gestört. Doch eine Enttäuschung ist manchmal auch das Ende einer Täuschung. Hier könnte es das Ende der Erwartung an Wissenschaft und Medizin sein, als könnten sie alles heil und gut machen. Als könnten alle immerzu gesund und heil sein, unbeschwert und unversehrt, ohne Einschränkungen.

Früher hat sich die Theologie als Königin der Wissenschaft gesehen. Lückenlose Glaubenssicherheiten inklusive, ohne irgendeinen Zweifel. Gut, dass das vorbei ist. Ich sehne mich nicht danach zurück. Die gleiche Erwartung an die Naturwissenschaften heute – nämlich auf alle Menschheitsfragen die richtige Antwort zu wissen – hat aber auch eine Kehrseite. Nun wird das Heil von den Naturwissenschaften erwartet. So gesehen ist es nur konsequent, von der Wissenschaft eine hundertprozentige Sicherheit bei den Impfstoffen zu erwarten.

Das wünsche ich mir auch. Aber das ist eine falsche Erwartung an die Wissenschaft. Jetzt, in der Pandemie, fällt sie noch stärker auf als zuvor. Denn die Wissenschaft verkündet keine absoluten Wahrheiten und Sicherheiten. Auch für Virologinnen und Infektionsforscher gehören der Zweifel und die Möglichkeit von Fehlern und Irrtum zum wissenschaftlichen Grundbekenntnis und täglichen Handwerkszeug. Stets eigene Irrtümer und Fehleinschätzungen korrigieren – das macht ihre Wissenschaftlichkeit aus.

Ich gebe zu: Ich habe lange überlegt, ob ich mich zum Impfen anmelden soll, wenn ich keinen Einfluss darauf habe, welchen Impfstoff ich bekomme. Mein christlicher Glaube und die Theologie als Wissenschaft sagen mir aber: Ich darf leben, aber ich besitze kein Leben zwischen Geburt und Tod. Ich ‚habe‘ kein Leben, sondern ich bin lebendig. Das bin ich gerne und möchte ich auch solange wie möglich bleiben. Das Leben empfinde ich als Geschenk. Es ist ein ziemlich fragiles Gebilde, das Glück und Unglück zugleich bereithalten kann. Auch Angst. Auch die ständige Bedrohung meiner irdischen Lebenszeit. Obwohl ich das gern verdränge.

Als Christ vertraue ich auf die gute Botschaft der Bibel. Jetzt in der Pandemie höre ich ein Bibelwort anders und neu: Jesus hat dem Tod die Macht genommen und das Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht. (2. Tim 1,10)

Das verstehe ich so: Schon jetzt und hier kann ich ein saftiges, erfüllendes, lustvolles Leben mit Gott- und Selbstvertrauen leben. Und auf die Auferstehung hoffen, jetzt und am Ende meines Lebens. Dieses Gottvertrauen ist nicht naiv, kein ‚Komme, was da will‘. Lebendig sein heißt für mich auch, vernünftig mit dem Geschenk des Lebens umzugehen, liebevoll mir selbst, Gott und den Nächsten gegenüber. Für mich bedeutet das auch: Mich impfen zu lassen.

Ganz bewusst habe ich mich jetzt registrieren lassen und warte auf den Impftermin. Ja, ein wenig Angst habe ich vor dem Impfstoff und den möglichen Risiken. Aber ich lasse es nicht zu, dass die Angst vor dem Tod mein Leben dominiert. Den Naturwissenschaften bin ich dankbar, wenn sie nach bestem Wissen und Gewissen feststellen, dass der Nutzen größer ist als das Risiko. Bewahren können sie mich davor nicht, dass ich unter den derzeit knapp drei Millionen geimpften Bürgerinnen und Bürgern der Nächste sein könnte, der daran erkrankt oder stirbt. Mein Glaube bleibt wie das Leben immer ein Wagnis, ohne absolute Sicherheiten, aber mit Hoffnung.

Mein Heil erwarte ich nicht von der Wissenschaft. Wohl aber, dass sie mir das Beste anbietet, was zur Bekämpfung der Pandemie nötig und möglich ist.

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18.03.2021
Eberhard Hadem