Weihnachten ist eine Kampfpause

Weiße Taube vor dunklem Hintergrund

Gemeinfrei via unsplash/ Sunyu

Weihnachten ist eine Kampfpause
Krieg und Abschiebungen in der Weihnachtszeit aussetzen
11.12.2020 - 06:35
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Die Gedanken zur Woche im DLF.

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Es begab sich an Heiligabend 1914, da legten deutsche, französische und schottische Soldaten ihre Waffen nieder. Und das gleich an mehreren Abschnitten der Westfront. Nicht für immer, sie feierten bloß Weihnachten. Allerdings zusammen.

Dieses Ereignis erzählt auch ein Weihnachtsfilm, der 2005 in die Kinos kam. Die Soldaten feiern sogar Gottesdienst. Und die Feinde sehen sich plötzlich nicht mehr als Feinde. An Heiligabend erleben sie sich plötzlich als gütig angesehen, von ganz woanders her als von ihnen selbst: von Gottes Freundlichkeit, die an Weihnachten erscheint. Und sie alle sind eins, wenn im Film der schottische Militärpfarrer auf Latein betet: ... de profundis ..., aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir!

Solche Verbrüderung ist in keinem Militärhandbuch vorgesehen. Auf höchsten Befehl hin wurde sie auch schnell beendet und das Feuer wiedereröffnet. Vorher allerdings unterrichteten sich beide Seiten über einen bevorstehenden Beschuss durch die jeweilige Artillerie und boten sich gegenseitig Schutz.

Man kann sich nicht abknallen, wenn man grade „Stille Nacht“ gesungen hat.

Man kann sich nicht mit Granaten beschießen, wenn man gerade den Schluss der Weihnachtsgeschichte gehört hat: „… und auf Erden Frieden und den Menschen allen ein Wohlgefallen.“

Auch im Zweiten Weltkrieg haben an Weihnachten gelegentlich die Waffen geschwiegen, jedenfalls für ein paar Stunden. Und die Soldaten feierten Weihnachten. Mit Christbaum und Kerzen und Weihnachtsliedern. Weihnachten ist eine Kampfpause. In diesem Jahr vielleicht noch mehr als sonst, weil so vieles heruntergefahren ist.

Weltweit steigen die Infektionszahlen. Deshalb ist auch der internationale Flugverkehr stark eingeschränkt. Von der Pandemie besonders gebeutelt sind jene Menschen, die heute in den Krisengebieten dieser Welt leben müssen. Sie finden keinen Schutz vor Granaten und keinen vor dem Virus. Abschiebungen von Asylsuchenden jedoch finden nach wie vor statt. Und das ist legal. Auch in Herkunftsländer wie Pakistan oder Äthiopien.

Die Diakonie hier in Hessen und eine Reihe anderer Organisationen schrieben deshalb an die Innenministerkonferenz, die heute endet: „Wir appellieren an Sie, Abschiebungen zunächst bis April 2021 auszusetzen, um Menschen an keiner Stelle gesundheitlichen Risiken auszuliefern, noch sie in Staaten abzuschieben, in denen diese drohen.“ Zahlreiche Herkunftsländer verfügen schließlich nur über ein marodes Gesundheitssystem und sind nicht in der Lage, das Volk zu schützen und Kranke zu versorgen. Der hessische Diakoniechef Carsten Tag nannte noch einen weiteren Grund: „Während der Abschiebung selbst können die Hygieneschutzmaßnahmen nicht eingehalten werden. Es besteht Ansteckungsgefahr nicht allein für die betroffenen Flüchtlinge, sondern auch für beteiligte Beamtinnen und Beamte der Bundespolizei.“ Auch deshalb fordert Carsten Tag, die Innenministerkonferenz möge die Abschiebungen aussetzen.

Hildegund Niebch arbeitet als Flüchtlingsreferentin in der Diakonie Hessen. Sie sagt dazu: „Das ist für mich und die Kolleginnen in der Beratungsarbeit für Geflüchtete keine theoretische Forderung. Uns fallen Menschen dazu ein, wir sehen Gesichter. Wenn uns die Kanzlerin inständig bittet: "Bleibt zu Hause, passt auf euch auf, damit sich das Virus nicht weiter verbreitet", dann muss das auch für Omar aus Syrien gelten! Er kam vor zwei Jahren aus Griechenland nach Deutschland. Er leidet an Diabetes und benötigt einen Rollstuhl. Die Behörden haben ihm die Abschiebung nach Griechenland angedroht, wo er mit Wahrscheinlichkeit auf der Straße landen würde – wie schon so viele andere. Auf der Straße, da ist er doch gegen Corona nicht geschützt.

Abschiebungen in der Weihnachtszeit auszusetzen – das wäre eine friedliche Pause für die Flüchtlinge und für die Bundespolizei, und für Gottes Freundlichkeit, die an Weihnachten erscheint. Ich bin gespannt, wie die Innenministerkonferenz heute entscheidet.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

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