Zusammen Wachsen

Gedanken zur Woche
Zusammen Wachsen
Die Gedanken zur Woche im DLF von Pfarrerin Angelika Obert
04.10.2019 - 06:35
27.06.2019
Angelika Obert
Über die Sendung

Die Gedanken zur Woche im DLF.

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An einem schönen See in Brandenburg, eine Fortbildung für Mitarbeitende in der Diakonie. Im Dozententeam: zwei Westdeutsche und zwei Ostdeutsche. Die Herkunft schien keine Rolle zu spielen. Nur als am Ende feierlich die Zertifikate übergeben wurden, war‘s dann so: Die Teilnehmenden umarmten ihre ostdeutschen Dozenten. Von den westdeutschen verabschiedeten sie sich mit einem freundlichen Händedruck.

Wir haben gelacht über diesen feinen Unterschied, der sich auch nach 30 Jahren noch bemerkbar machte und uns in diesem Augenblick jedenfalls typisch vorkam.

Aber was war daran nun typisch? Dass sich die Ostdeutschen untereinander eben doch vertrauter waren? Oder dass sie überhaupt ein bisschen direkter sind im Umgang miteinander? Dass es die Wessis sind, die auf schwer definierbare Weise mehr Distanz ausstrahlen?

Was typisch ostdeutsch ist, was typisch westdeutsch - es gibt wohl Momente, wo ich‘s spüre, aber richtig in Worte fassen kann ich es nicht. Schließlich sind die vielen Ostdeutschen, die ich in den letzten 30 Jahren kennenlernen durfte, immer sehr verschiedene Menschen gewesen. Es gab da gar nichts, was allen gemeinsam war – außer eben dann doch in manchen Augenblicken ein Irgendwas, das mich die ostdeutsche Identität registrieren ließ.

Dabei ist mir bewusst: Umgekehrt ist es genauso. Auch ich habe etwas an mir, woran sie – jedenfalls manchmal - merken: Ich bin Westdeutsche. Und bis heute weiß ich nicht, woran sie‘s wohl merken.

Etwas habe ich schon deutlich gemerkt bei meinen vielen Begegnungen in den ostdeutschen Kirchengemeinden: Dass da eine größere Direktheit war, mehr Nähe im Gespräch, mehr Herzlichkeit – selbst in den Anfangsjahren, wo man mir mit Skepsis begegnete. Es gefiel mir, ich bin oft dankbar heimgefahren.

Und ich war ziemlich überrascht, als mir – noch in den 90ern - eine junge ostdeutsche Kollegin sagte: Was ich an euch Wessis gut finde, ist, dass ihr immer so schön Abstand wahrt. Bei euch fühlt man sich nicht gleich so vereinnahmt. Sieh an, dachte ich – wir können unsere verschiedenen Prägungen auch gegenseitig mögen.

Ich erinnere mich, wie vor 30 Jahren der damalige Berliner Bischof Martin Kruse nach dem Mauerfall im Fernsehen das „Wort zum Sonntag“ sprach: Zusammenwachsen, sagte er damals, das muss man in zwei Worten schreiben: Zusammen wachsen muss es heißen. Sind wir nun in den letzten drei Jahrzehnten zusammen gewachsen – als Ostdeutsche und Westdeutsche? Schnell meldet sich der Widerspruch: Unüberhörbar ist die rabiate Unzufriedenheit, die sich in manchen ostdeutschen Regionen vernehmbar macht.

 

Andererseits: Es war doch nicht nur diese eine Fortbildung, auf der wir miteinander gelacht haben über die kleinen, feinen Unterschiede. Begegne ich nicht alle Tage den herzlichen

Ostdeutschen, die mit gewissem Humor sogar auf die schweren Jahre der Enttäuschungen zurückblicken, in denen sie viel auszuhalten hatten? Sie sind an den Herausforderungen dieser Jahre sicher gewachsen. Wie es mit meinem Wachstum bestellt ist, kann ich nicht beurteilen. Ich weiß nur, dass ich auf 30 Jahre zurückblicke voller schöner Begegnungen und neuer Freundschaften und dass mein Leben unvorstellbar viel armseliger und beschränkter gewesen wäre, hätte es die Öffnung der Grenzen, die Einheit nicht gegeben. Was immer es sein mag, das typisch Ostdeutsche – mir hat‘s jedenfalls den Horizont erweitert und das Herz auch.

Zusammen wachsen – in zwei Worten geschrieben, das war übrigens auch das Motto der Interkulturellen Woche, die jetzt Ende September stattgefunden hat. Ja, das kann ich mir vorstellen: Dass wir eines nahen Tages auch gemeinsam lachen über die feinen Unterschiede zwischen den typisch Deutschen – und den typisch Zugewanderten. Dass wir uns mögen mit unsern verschiedenen Prägungen.

 

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Es gilt das gesprochene Wort.

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27.06.2019
Angelika Obert