Allein im Feuerofen

Morgenandacht
Allein im Feuerofen
31.05.2018 - 06:35
01.03.2018
Ulrike Greim
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Zum wievielten Male sitzt er hier? An diesem Schreibtisch? Er hatte ihn vom Großvater bekommen. Und von der ersten Predigt an daran gesessen. Das ist nun 42 Jahre her. Damals war er ein Heißsporn. Ein Ritter für die Sache Jesu. Nun: voller Zweifel. Früher war er sich seiner Sache immer sicher – bis letztes Jahr.

 

Es war im Sommer, da stand die junge Frau aus Eritrea vor der Tür mit dem Kind auf dem Arm und einem dicken Bauch. Geflohen aus der Asylunterkunft, weil sie da hinter ihr her waren. Und sie suchte nun einen Ort, an dem sie sicher ist. Es stellte sich heraus: Sie war eine Christin. Bibel und Kreuz – für sie ein Anker in der Brandung. Sie wollte beten, wollte Bibelgeschichten hören, wollte christliche Gemeinschaft. Ihre Geschichte war kaum zu entschlüsseln. Die Wortfetzen skizzieren ein undeutliches Bild, und wohl aus Scham sollte es auch undeutlich bleiben. Aber muss man groß raten? Was muss man wissen, um zu helfen? Er hat es versucht. Allein, mit Leuten aus der Gemeinde, mit dem Verein aus der Stadt. In kleinen Schritten. Erst einmal übergangshalber, dann für länger. Aber es war kompliziert. Und eines Tages der Anruf: Sie ist tot. Und man weiß es nicht genau, wie es kam. Und er fürchtet, wie alle: Sie konnte nicht mehr. Ein Kind im Bauch. Das andere ist nun Vollwaise.

 

Monatelang kämpft er mit Zorn und Wut und Angst. Viele Gespräche hat es gebraucht, sich zu beruhigen. Aber innerlich treibt es ihn um. Jedes Mal, wenn er sich wieder an den Schreibtisch setzt. Dann gärt es. Und brodelt. Über was soll er reden?

Die alten Sicherheiten wollen nicht mehr funktionieren.

Er liest die Bibel anders, archaischer. Ihm fallen mehr die Punkte auf, in denen es keinen Kompromiss gibt. In denen man sich verhalten muss. Drumherumreden ist Zeitverschwendung. Es gilt, Position zu beziehen.

 

In ihm: Heiliger Zorn. Wieso dieses Elend? Wo müssen wir helfen? Wo müssen wir aufhören zu helfen? Wie können wir leben in unserem Wohlstand, so lange so viele um ihr Leben rennen und rennen. Was ist meine persönliche Verantwortung, was die der Gesellschaft? Was die der Geflüchteten? Und warum in Gottes Namen hört das Elend nicht auf?!

Es ist so, als wäre die Büchse der Pandora geöffnet. Wer einmal in diese Radikalität hineingegangen ist, kann kaum noch lapidar werden, ohne sein Gesicht zu verlieren.

 

Er will die Predigt für den kommenden Sonntag beginnen. Aber die Sätze fühlen sich falsch an.

Und wie kann man leben, wenn man aufrecht bleiben will? In der Existenzialität kann sich keiner halten. Die ist einfach nicht alltagstauglich. Und seine Gemeinde wird es nicht ertragen wollen. Oder doch?

Wie er so aus dem Fenster seines Arbeitszimmers schaut, raus auf die Straße, da bewundert er andere, die ruhig leben können.

Herr, gib Erlösung!

Nein, der Herr schickt ins Feuer. In den Feuerofen. Er sieht es vor sich: die Geschichte von den drei Männern, die in den Feuerofen geworfen werden. Sie gehen hinein und verbrennen nicht. Sie wissen sich in Gottes Allmacht. „Wenn Gott will“ wird er uns hier herausholen, beten sie. Und wenn er nicht will, dann nicht. Dann werden wir verbrennen.

Was für ein Vertrauen.

Sich in Gottes Hand begeben ist keine Glücksversicherung. Kein „Ich werde meinen Fuß nicht an einen Stein stoßen“? Es ist wie auf hoher See. Du weißt nicht, was die nächste Welle bringt. Wir werden unsere Füße an viele Steine stoßen. Einigen wird es das Leben kosten. Kann man sich in diesem Gott festmachen, der einmal Heil und einmal Unheil ausgießt?

 

Die Großen des Glaubens konnten es. Sie haben auf den rettenden Gott gesetzt. Ihr Leben in seine Hand geworfen.

Die junge Frau aus Eritrea hat dies unablässig getan. Sie war permanent auf hoher See. Sie hat permanent diesem Gott getraut. Und sie ist versunken. Hier, an Land. In unserem Land.

Herr, gib Erlösung.

Oder Feuer! Unter unsere Nägel!

Er sitzt am Schreibtisch und schreibt, als täte er es zum ersten Mal. Es ist ein Gebet.

„Zeige uns den Weg zum Leben.“

 

 

Es gilt das gesprochene Wort.

01.03.2018
Ulrike Greim