Alles Brauchbare besteht in Umwegen

Morgenandacht
Alles Brauchbare besteht in Umwegen
08.01.2019 - 06:35
06.12.2018
Peter Oldenbruch
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„Wir gehn dahin und wandern von einem Jahr zum andern.“

Wir gehn dahin. Wohin?

Gibt es ein Ziel im Jahr 2019?

Oder geht es einfach weiter: 2018, 2019, 2020.

Und so weiter und so weiter.

Gibt es Wegweiser? Direkt zum Ziel hin?

Oder sind es Umwege, die wir gehen?

 

Die Israeliten wanderten 40 Jahre durch die Wüste. Auf dem Weg ins Milch- und Honigland.

Der Sklaverei in Ägypten waren die Kinder Israels gerade entkommen.

Gerade erst hatte der Pharao das Volk ziehen lassen: let my people go!

Da führte sie Gott keinen direkten Weg in das Land, wo Milch und Honig fließt. Die Schrift erzählt: „Gott führte sie nicht den Weg durch das Land der Philister, der am nächsten war. Denn Gott dachte, es könnte das Volk gereuen, wenn sie Kämpfe vor sich sähen, und sie könnten wieder nach Ägypten umkehren. Darum ließ er das Volk einen Umweg machen und führte es durch die Wüste zum Schilfmeer.“ (Ex 13,17f)

 

Die Szene muss dramatisch sein: Hinter dem wandernden Gottesvolk die eisernen Streitwagen der Ägypter, vor den Wanderern die Grenztruppen der Philister im Lande Kanaan.

„Das Ungelegenste, das den eben erst in die Freiheit Entlassenen und noch völlig Desorientierten begegnen könnte, ist ein Zusammenstoß mit bewaffneten Gegnern.“ (1)

Die hatten sie vor sich. Und hinter sich. Ein Umweg war es, auf dem das Volk geführt wurde, durchaus psychologisch motiviert: Es könnte das Volk gereuen...

 

„Und der Herr zog vor ihnen her,

am Tage in einer Wolkensäule, um sie auf den rechten Weg zu führen,

und bei Nacht in einer Feuersäule, um ihnen zu leuchten,

damit sie Tag und Nacht wandern konnten.“

 

Der „rechte Weg“, der Weg in die Freiheit, war in diesem Falle ein Umweg.

Durch das „Schilfmeer“, eine Sumpfgegend also.

Und – später! – durch die Wüste, 40 Jahre lang.

 

Wohin führst du uns?, werden die Israeliten ihren Führer Moses wenig später fragen.

Waren nicht Gräber in Ägypten, dass du uns wegführen musstest, damit wir in der Wüste sterben?

Haben wir dir nicht schon in Ägypten gesagt: Lass uns in Ruhe! Es wäre besser für uns, den Ägyptern zu dienen, als in der Wüste zu sterben.

 

Als falschen Weg empfanden die murrenden Israeliten den Umweg durch die Wüste.

Zurück wollten sie. Zurück zu den berühmten Fleischtöpfen Ägyptens!

Wohin führst du uns? Zunächst: auf einen Umweg.

 

Beliebter als Umwege ist die Alternative „Entweder-Oder“.

Entweder den Philistern in die Hände fallen oder: zurück nach Ägypten!

Ich kann sie mir vorstellen: Die Männer, die Kämpfer, wie sie sagen:

Mensch Moses, wir müssen da jetzt durch! Da geht kein Weg rechts dran vorbei, da geht kein Weg links dran vorbei, da müssen wir mittendurch! Auf in den Kampf!

Oder eben: zurück.

Selbst in die Sklaverei. Zurück in die verlorene Naivität, nicht selber gehen zu müssen durch Wüste und sumpfiges Gelände.

Vor lauter Entweder-Oder werden sie leicht übersehen: die Umwege, die Auswege.

 

Es ist merkwürdig mit den Umwegen.

Kinder lieben sie, Frauen kennen sie, Männer marschieren lieber, manchmal sogar in den Tod.

 

Kleine Fabel von Franz Kafka über das Entweder-Oder:

„‘Ach‘ sagte die Maus, ‘die Welt wird enger mit jedem Tag.

Zuerst war sie so breit, dass ich Angst hatte.

Ich war glücklich, dass ich endlich rechts und links in der Ferne Mauern sah.

Aber diese langen Mauern eilen so schnell aufeinander zu, dass ich schon im letzten Zimmer bin, und dort im Winkel steht die Falle, in die ich laufe.’

‘Du musst nur die Laufrichtung ändern!’ sagte die Katze und fraß sie.“

 

Ob zurück, ob vorwärts, gefressen wirst du ohnehin. Nichts ist sicherer als der Tod.

Statt des Entweder-Oder erzählt die Schrift von einem Umweg.

 

Nein, ich denke nicht, Umwege seien grundsätzlich gut. Wenn ich mir am Jahresanfang 2019 die Szene da am Rande der Wüste vorstelle, dann seh‘ ich Umwege in einem gnädigeren Licht.

Meine eigenen und die der anderen.

„Gott führte sie nicht den Weg, der am nächsten war.“

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

(1) Roland Gradwohl, Bibelauslegungen aus jüdischen Quellen, Band 2,Stuttgart 1987, S.52

06.12.2018
Peter Oldenbruch