Analoge Vernetzung

Morgenandacht
Analoge Vernetzung
05.10.2019 - 06:35
18.07.2019
Angelika Obert
Sendung zum Nachhören
Sendung zum Nachlesen

Lichtflecken tanzen auf dem See, im Wasser spiegeln sich die Wolken. Stolz zieht das Schwanenpaar seine Bahn, am Ufer tummeln sich die Enten. Still verharrt der Fischreiher auf seinem Holz. Und drumherum alte Bäume, deren Herbstfarben in der Sonne glänzen, vom Sommer mitgenommene Wiesen, auf denen die Spatzen herumhüpfen und manchmal auch die Krähen. Mitten im Berliner Häusermeer ist der Lietzenseepark eine kleine Oase und viele gibt es, die sich da gern aufhalten. Morgens ziehen die Jogger ihre Bahn um den See, Großmütter führen ihre Enkel spazieren, Gymnastikgruppen trainieren auf den Wiesen. Nachmittags versammeln sich dann mehr diejenigen, die den Park lieber sitzend genießen. Und was machen sie auf ihren Bänken? Schauen sie den Schwänen zu? Gucken sie, wie der Wind in den Ästen der Bäume spielt? Nein, natürlich nicht. Die meisten sitzen gebeugt über ihren kleinen schwarzen Geräten, tief versunken in das, was es da aufzurufen gibt an Nachrichten, Spielen, Serien – längst vorbei die Zeit, wo man ein Handy hauptsächlich zum Telefonieren dabei hatte.

Ich erlaube mir, mich zu wundern: All diese gebeugten Menschen auf der Wiese, auf den Bänken! All diese innerlich irgendwie Abwesenden. Ich erinnere mich, wie wir gemahnt haben, als die Handys aufkamen: Es sei doch sicher nicht gut für die Seele, wenn man ständig erreichbar wäre. Jetzt denke ich: Ist es nicht eher umgekehrt? Führt das schöne Spielzeug in der Hosentasche nicht eher dazu, dass wir uns gar nicht mehr erreichen lassen? Jedenfalls nicht von den Lichtflecken auf dem See, den bunten Bäumen oder den frechen Spatzen. Ist es nicht so: Je mehr Welt mir zur Verfügung steht auf dem kleinen Display, je weniger bin ich verbunden mit dem, was gerade um mich herum ist? Na ja, denke ich, wenn ich mich mit einem Buch in den Park setze, habe ich ja auch kein Auge für die Schwäne. Und wenn ich um den See stapfe und ganz in Gedanken bin wegen des Ärgers gestern Abend, dann kommt von der Schönheit um mich herum auch nicht viel bei mir an. Es gibt schon viele Möglichkeiten, mich dafür unerreichbar zu machen – auch ohne Smartphone. Nur eben – wenn so viele mitten in der Natur über die kleinen schwarzen Dinger gebeugt sitzen, dann fällt‘s eben auf.

Und dann frag ich mich, ob es neben der weltweiten nicht doch auch so etwas wie eine unmittelbare Vernetzung gibt – für die ich offen sein kann oder auch nicht. Schließlich habe ich meine Sinne ja, um zu sehen, zu hören, zu spüren, was da gerade um mich ist – und mich dann auch verbunden zu erleben mit See und Himmel, Wind und Laub. Sinnenlust nannte man das früher. Und oft genug hat es die Leute offenbar fröhlich gemacht. „Ich danke Gott und freue mich wie‘s Kind zur Weihnachtsgabe, dass ich bin, bin! Und dass ich dich, schön menschlich Antlitz habe; dass ich die Sonne, Berg und Meer und Laub und Gras kann sehen und abends unterm Sternenheer und lieben Monde gehen...“ So dichtete einst Matthias Claudius. Offenbar sind ihm da Sonne, Berg und Meer, Laub und Gras doch sehr nahe gekommen, haben ihn beglückt und erfüllt, so dass ihm ganz weihnachtlich zumute war. „Ich danke Gott, dass ich wunderbar gemacht bin – wunderbar sind deine Werke“ – so heißt es in den biblischen Psalmen. Aber was merke ich noch davon, dass ich wunderbar gemacht bin – mitten in all den anderen wunderbaren Werken Gottes?

Auch wenn ich mich nicht übers Smartphone beuge, fällt‘s mir meistens schwer, mich erreichen zu lassen von dem, was gerade um mich ist – vom tanzenden Blatt oder vom Wolkenspiel auf dem Wasser. Aber nun haben mich die vielen gebeugten Mitmenschen nicht nur im Park doch animiert, aufzuschauen, mich umzuschauen – sogar in der Bahn, wenigstens ein paar Minuten lang, bevor ich zum Smartphone oder zum E-Book greife – mich doch wenigstens ansatzweise zu verbinden mit meiner Umgebung. Zu staunen gibt‘s ja öfter was – auch da, wo die Natur nicht so herrlich leuchtet.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

18.07.2019
Angelika Obert