Artenvielfalt

Morgenandacht
Artenvielfalt
23.02.2019 - 06:35
03.01.2019
Annette Bassler
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Zum Abendessen bei Freunden. Ich liebe es. Wenn der Tisch schön gedeckt ist, mit Kerze und Servietten und schönen Gläsern. Wenn der Korken ploppt und Wein in die Gläser gluckert. Eine Freundin kann besonders gut kochen. Mit Kräutern aus dem Garten, Gemüse vom Markt und besonderen Gewürzen. Aus einem einfachen Gericht mit Kartoffeln, Karotten und Rosenkohl kann sie eine Delikatesse zaubern. Unübertroffen ihre Salate mit Zitrone und Walnüssen.

Und so sitzen wir in froher Runde um den Tisch und prosten uns zu. Die Freundin serviert den Salat und nach dem „Guten Appetit“ breitet sich andächtige Stille aus. Alle wollen spüren, was da so Köstliches auf der Zunge liegt, schmecken dem Süßen und Sauren nach. Während ich mich auf den Blattsalat mit den Walnüssen konzentriere, sehe ich, wie sich etwas bewegt. Ein Stückchen Walnuss krabbelt ganz langsam in Richtung Tellerrand.

Normalerweise entsorge ich sowas ganz unauffällig mit der Serviette. Aber jetzt kann ich das nicht. Ich stupse meine Freundin: „Schau mal, die Walnuss lebt!“ Und sie, mit der größten Selbstverständlichkeit, lächelt mich an und meint. „Ach, das Käferchen ist vorhin auf dem Tisch rumgekrabbelt. Lustig, jetzt sitzt es im Salat.“

Ich versuche mich zu entspannen und esse weiter, das Käferchen immer im Blick. Bis es den Tellerrand erreicht hat und auf einmal weg ist.

Unser Gespräch am Abend fließt dahin. Wir reden über vieles, was uns so bewegt, hören einander zu, fragen nach. Währenddessen entdecke ich den kleinen Käfer immer wieder mal. Auf dem Lampenschirm. Oder auf dem Kerzenständer. Begleitet unser Gespräch immer aus einer anderen Perspektive. Und alle am Tisch finden das selbstverständlich.

Seitdem frage ich mich: Warum habe ich bisher alles, was sich bewegt hat, wie selbstverständlich platt gemacht oder weggesaugt? Noch nie hat in unseren Breitengraden eine Spinne einen Menschen lebensgefährlich angefallen. Noch nie hat ein Käfer beim Spaziergang durch einen Salat selbigen vergiftet. Was gibt mir das Recht, das, was da krabbelt, zu „entsorgen“? Nur weil ich es eklig finde?

Also habe ich mir einen Ruck gegeben und habe „Helga“ bei uns Wohnrecht gegeben. Helga ist eine Weberknechtspinne und wohnt im Gästeklo. Seit Wochen sitzt sie an diesem dunklen stillen Örtchen und fühlt sich offensichtlich wohl. Sie tut niemandem was, sitzt einfach nur da. Sie hat keine natürlichen Feinde, sie muss nicht auf Beutejagd gehen und ihr himmlischer Schöpfer ernährt sie doch. Gewiss gibt es auch andere Orte für Spinnen wie Helga. Aber sie ist mir doch wichtig geworden. Gibt sie und das Käferchen im Salat mir immer wieder zu bedenken: Wer bin ich, dass ich darüber befinden darf, welches Krabbeltier ein Lebensrecht hat und welches nicht. Kein Tier kann ja was dafür, dass ich es eklig finde.

Als Gott die Welt erschaffen hat, erzählt die Bibel, da sagt er: „Die Erde bringe hervor lebendiges Getier, ein jedes nach seiner Art: Vieh, Gewürm und Tiere des Feldes, ein jedes nach seiner Art.“ Und Gott sah, dass sie gut war, die Artenvielfalt.

Warum gibt es heute so viel weniger Arten als früher? Weil sie uns im Weg sind? Weil wir sie eklig finden? Weil wir keine Ahnung haben, wie wichtig sie sind und denken, wir könnten locker darauf verzichten?

Artensterben heißt ja nicht nur, dass Eisbären einsam auf Eisschollen sitzen. Es heißt vielmehr, dass ganze Kreisläufe von Nahrung nicht mehr funktionieren. Erst stirbt die Biene, dann der Honig, dann müssen Bäume künstlich befruchtet werden.

Seit jenem wunderbaren Abendessen bei Freunden, seit jenem Salat mit dem lebendigen Walnussstückchen versuche ich, ein bisschen mehr von Gott her zu denken. „Die Erde bringe hervor lebendiges Getier, ein jedes nach seiner Art: Vieh, Gewürm und Tiere des Feldes.“ Ich finde das schon ziemlich gut.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

03.01.2019
Annette Bassler