Beschirmt werden

Morgenandacht
Beschirmt werden
03.09.2019 - 06:35
13.06.2019
Cornelia Coenen-Marx
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Eigentlich liebe ich den Regen. Vor allem in diesem Sommer ging es mir so. Nach den vielen Hitzetagen habe ich den Urlaub im Norden so richtig genossen. In der Sommerfrische. Wo Sonne und Regen schnell wechseln, da ist es herrlich, die Tropfen auf der Haut zu spüren. Und ich finde es nicht so schlimm, wenn es von oben mal fließt wie unter der Regendusche. Ich bin ja nicht aus Zucker. Erst wenn auch keine Kapuze mehr nutzt, spanne ich den Regenschirm auf; am liebsten den großen schwarzen von meinem Mann. Der beschirmt mich auch in der Stadt, wenn ich mir nasse Kleidung nicht leisten kann.

Eines meiner schönsten Urlaubsfotos zeigt Regenschirme. Gelb, orange, rot, blau und grün – in allen Farben des Regenbogens sind sie über eine Straße gespannt. Wenn die Sonne scheint, werfen sie Schatten. Und wenn es regnet, trotzen sie dem Wetter. In der kleinen Einkaufsstraße in Wales sitzt jeder gern in einem Straßenkaffee, schaut nach oben und träumt. Mit dem Foto von den Regenschirmen habe ich einen echten Erfolg erzielt – auf Facebook wurde es besonders oft geliked und geteilt. Und als Antwort bekam ich Fotos aus aller Welt mit dem gleichen Motiv. Straßen mit Schirmdächern aus ganz Europa, aus Griechenland, Malta und Kleve, aus Trondheim und Ravenna. Gut beschirmt zu sein – nicht nur bei Regen. Das wünschen sich alle.

„Unter deinen Schirmen bin ich vor den Stürmen aller Feinde frei“, heißt es in einem Choral. „Lass den Satan wettern, lass die Welt erzittern, mir steht Jesus bei“. In dem Lied – eins meiner Lieblingslieder – geht es um ein Gewitter; es kracht und blitzt, dass man sich fürchtet wie ein Kind. Wenn ich Angst habe, wenn ich mich unter Druck fühle, sing ich es gern. Am liebsten laut unter der Dusche: „Tobe, Welt, und springe, ich steh hier und singe in gar sichrer Ruh.“ Die Melodie nehme ich dann mit in den Tag – und sie klingt in mir nach, wenn es schwierig wird. Wenn es blitzt und kracht oder wenn ich eine kalte Dusche bekomme.

 

Manchmal spüre ich dann, dass Gottes Gnade Schutz und Schirm vor allem Bösen ist. Und ich denke an das Segenswort bei Taufe oder Konfirmation, an die aufgelegten Hände.

Aber ich weiß auch, was es bedeutet, ungewollt im Regen zu stehen. Alleingelassen, während andere schnell noch ihre Schäfchen ins Trocken bringen. Weil ich meine eigene Meinung habe. Oder nicht mehr mithalten kann. Weil niemand mehr da ist, der die Hand über mich hält. Oder einfach, weil ich empfindlicher geworden bin. Es gibt ja Zeiten im Leben, wo ich mir bei jedem Lüftchen etwas einfange. Wenn ich überlastet bin oder verletzt. Keiner mag das. Niemand will schwach sein, auf Schutz und Hilfe angewiesen. Es ist aus der Mode gekommen, sich beschirmen zu lassen – auch als Frau. Wir haben gelernt, uns selbst zu schützen.

Aber ist das nicht eine Illusion? In der Finanzkrise 2009 wurde ein Rettungsschirm für die Banken entwickelt. Viele hätten sich auch einen Rettungsschirm für die Arbeitslosen gewünscht. Für die jungen Leute in Italien, Spanien, Griechenland. Niemand kann sich alleine schützen. Niemand ist für sich alleine stark. Wir Menschen bleiben auf andere angewiesen. Wer überfordert oder verletzt ist, darf nicht im Regen stehen bleiben: Wir alle brauchen Solidarität. Persönlich und auch politisch. Die bunten Schirme erinnern mich daran.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

13.06.2019
Cornelia Coenen-Marx