Christen und Demokratie

Morgenandacht
Christen und Demokratie
17.05.2017 - 06:35
15.05.2017
Pfarrer Wolf-Dieter Steinmann

Wie stehen eigentlich Protestanten zur Demokratie?

Eher pragmatisch? Nehme ich sie als politische Form, die wir eben haben?

Ok, solange sie mir nützt, ist gut ?

Oder ist das Verhältnis zur Demokratie inniger?

Weil in ihr Dinge verwirklicht sind, die auch meinen Glauben als evangelischer Christ bestimmen und prägen?

Wie stehen Protestanten zur Demokratie:

Pragmatisch positiv oder grundsätzlich positiv?

 

Protestanten haben sich lange schwer getan mit der Demokratie. 1918 ging für viele „die Welt“ unter, als mit der Weimarer Republik die erste Demokratie auf deutschem Boden entstanden ist. Evangelisch sein, das hieß doch ‚kaisertreu‘.

 

Dabei finde ich in der Reformation viele Grundgedanken und Ereignisse, die demokratiekompatibel sind. Und nicht nur kompatibel, sondern demokratieaffin.

 

Da ist als erstes der Gedanke: Alle Menschen sind grundlegend gleich.

Für Luther war diese Gleichheit sogar doppelt gegeben, im Schlechten wie im Guten:

Luther hat gemeint: „Es ist und bleibt der Mensch ..– er sei König, Herr, Knecht, weise, gerecht und durch welche Güter des Lebens auch immer er sich hervortun kann – dennoch der Sünde und dem Tod verhaftet.“

 

Aber Christenmenschen sind nach Martin Luther auch in einem positiven Sinn gleich. Alle Getauften sind Priester. Es braucht keine Expertokratie von besonders Heiligen, damit man zu Gott finden kann. Jeder und jede kann das. Und es hilft am meisten dazu, wenn man die Bibel lesen kann. Darum haben die Evangelischen immer auf Bildung gesetzt. Damit Menschen ihre Gemeinde und ihre Gesellschaft mitgestalten können. Teilhaben an wichtigen Entscheidungen und an der Macht.

 

Solche Teilhabe hat es in der Reformationszeit schon gegeben: Als Kaiser Karl V. mit Macht versucht hat, den evangelischen Glauben zu verdrängen, haben die protestantischen Fürsten dagegen protestiert. Aber nicht nur die Fürsten.

 

In vielen Reichsstädten wurden den Bürgern die Entscheidung vorgelegt: ‚Wollt ihr euch dem Willen des Kaisers beugen und seinem Dekret folgen oder bei Gottes Wort bleiben, sprich evangelisch?‘ In Ulm hat der Rat der Bürgerschaft im November 1530 diese Alternative vorgehalten.

 

Und der Rat hat klar macht, was damit auf dem Spiel steht: Wenn man sich gegen den Kaiser stellt, könne das bedeuten, dass der die Stadt mit Krieg überzieht. Aber wer das kaiserliche Dekret annimmt, der ziehe den Zorn Gottes und ewige Verdammnis auf sich.

 

Von 1800 stimmberechtigten Ulmer Bürgern haben sich 1600, also fast 90 % gegen das Dekret des Kaisers entschieden.

 

Man hat sich damals also getraut, auch Wahrheitsfragen demokratisch abstimmen zu lassen. Leider sind diese Anfänge in den lutherischen Kirchen später in Vergessenheit geraten.

 

Anders im zweiten großen Strang der Reformation, bei den Reformierten. Da hat man schon vor 400 Jahren demokratische und parlamentarische Formen und Verfahren in der Kirche installiert. Sogar Glaubensfragen wurden mehrheitlich entschieden. Durch Synoden. Also durch eine Art von Parlament.

 

Eigentlich waren mit der Reformation schon früh die Voraussetzungen gegeben, der Demokratie zu trauen. Man wusste wie sie geht und hat erlebt: es sind gute Entscheidungen möglich, auch wenn viele teilhaben. Und es ist gut, Macht zu teilen. Kompromisse zu finden. Wenn sie dem Frieden dienen.

 

Nur, bis die Demokratie den Weg auch in die Politik gefunden hat, das hat noch sehr lange gedauert. Vor allem in Deutschland. Eigentlich unverständlich.

 

Darum ist für mich klar. Christen stehen grundsätzlich positiv zur Demokratie. Und setzen sich dafür ein, dass alle an der Macht teilhaben. Dass Macht geteilt wird. Und wenn die Demokratie durch Halbwahrheiten, gezielte Lügen und Verunglimpfung von Menschen ausgehöhlt wird. Oder durch  den übergroßen Einfluss von potenten Lobbygruppen. Dann sollten Protestanten mit bei den ersten sein, die sie verteidigen. Und für Recht und Frieden aller kämpfen.

15.05.2017
Pfarrer Wolf-Dieter Steinmann