Den Madensack trainieren

Morgenandacht
Den Madensack trainieren
27.07.2019 - 06:35
13.06.2019
Marita Rödszus-Hecker
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Sport und Kirche – Kirche und Sport, hat das überhaupt irgendetwas miteinander zu tun? Beten und Sprinten, Kirchenlieder singen und Hanteln schwingen? Für Martin Luther sicher nicht. Und nie hätte er daran gedacht, der Evangelischen Kirche einen Beauftragten für Kirche und Sport zu verordnen. Er selbst nannte sich wahlweise einen „armen sterblichen Madensack“, einen „armen stinkenden Madensack“, einen „sündlich, sterblichen Madensack“. Gerne trank er Bier und aß etwas Anständiges. Und niemals wäre er auf die Idee gekommen, seinem Körper ohne Not einen 100 Meter Sprint, Kugelstoßen oder Hochsprung zu verordnen. Einen „Madensack“ trainiert man nicht.

 

Lange Zeit stand mir Luther mit dieser Einstellung sehr nahe. Sport – das hieß in der Schulzeit: in eiskalten Schwimmbädern frierend am Rand stehen oder regelmäßig mit dem Rückgrat auf den unteren Holm des Stufenbarrens knallen. Da ging ich mit meinem Madensack lieber in das nächste Café um in aller Ruhe ein paar Zigaretten zu rauchen. Ich verstand nicht, warum sich Menschen abrackern, um 1000 Meter zu kraulen. Rätselhaft waren mir all die, die freiwillig durch den Wald liefen. Die beim Schwimmen den Kopf unter Wasser tauchten und es länger als eine Viertelstunde darin aushielten.

Dann aber kam die Wende. Nicht auf einmal, sondern nach und nach. Sie kam, als ich im Vikariat mit Frauen aus meiner Gemeinde die ersten 1000 Meter durch den Wald gelaufen bin, im Schneckentempo. Sie kam, als ich entdeckte, dass es auch Schwimmbäder mit 27 Grad warmem Wasser gibt. Den allerletzten Anstoß aber erhielt meine „Bekehrung zum Sport“ tatsächlich durch den „Beauftragen für Kirche und Sport“. Denn es gibt sie tatsächlich, die Beauftragten für Kirche und Sport. Und den Arbeitskreis Kirche und Sport in der Evangelischen Kirche in Deutschland. Sein Ziel – unter anderem: Christen zu sportlichem Leben anregen und begleiten. Und, noch wichtiger: daran erinnern, dass wir Menschen ein Ganzes sind, aus Leib und Seele.

Nie hätte ich gedacht, dass ich noch einmal Mitglied in einem Sportverein würde. Das war vor 20 Jahren. Seitdem trainiere ich dem Tag der Sportabzeichen-Abnahme entgegen.

Das Sportabzeichen: erdacht 1913, als öffentliche Auszeichnung für allgemeine Fitness. Damals trug dieses Abzeichen noch den etwas pluderhosigen Namen „Auszeichung für vielfältige Leistungen auf dem Gebiet der Leibesübungen.“ Springen, Laufen, Werfen, Schwimmen – selbst der preußische Kronprinz war sich dafür nicht zu schade.

 

Das Beste am Sportabzeichen, so stellte sich bald heraus, ist die Vorbereitung darauf. Zweimal in der Woche. Bei jedem Wetter auf dem Sportplatz. Mal sind es zehn, mal fünfundzwanzig Menschen, die sich dort treffen. Das allerbeste aber: unser Trainer. Er ist sanftmütig, geduldig, aber was unsere Übungen angeht: unerbittlich. Für ihn gibt es keine unsportlichen Menschen, nur solche, die die Freude an der Bewegung noch nicht entdeckt haben. Er schaut genau hin, korrigiert uns freundlich und sagt: „Jeder soweit wie er kann, aber dann doch noch ein bisschen weiter. Sonst wär es ja kein Training.“ Peter, unser Trainer, ist jetzt 91 Jahre alt und ein lebendes Beispiel für die Verheißung, dass Sport jung und beweglich hält. Und wenn wir stöhnen, weil er uns wieder einmal die Liegestützen machen lässt, dann tröstet er uns damit, dass früher, zu seiner Zeit, die Übungen alle noch sehr viel härter waren.

In bin Seelsorgerin in einer Orthopädischen Klinik. Und dort erlebe ich jeden Tag, wie wichtig es ist, sich zu bewegen, auch wenn es schwer fällt. Den Körper zu trainieren, auch wenn es erst einmal weh tut. Krankengymnastik ist Lebenshilfe. Und: man muss es nicht in allen Dingen mit Luther halten. Manchmal ist Rousseau besser, der gesagt hat: „Vor allem wegen der Seele ist es nötig, den Körper zu üben“. Denn jeder Mensch ist ein Ganzes aus Seele und Leib.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

13.06.2019
Marita Rödszus-Hecker