Der Vater, der Allmächtige

Morgenandacht

Silke Niemeyer

Der Vater, der Allmächtige
21.11.2022 - 06:35
14.10.2022
Silke Niemeyer
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Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen. So beginnt das uralte Glaubensbekenntnis der Christenheit.

In meiner Sturm- und Drangzeit habe ich da trotzig die Lippen aufeinandergepresst. An Gott, den Vater, den Allmächtigen – nö, an den glaube ich nicht, als junge Frau schon mal gar nicht. Der allmächtige Gottvater hat viel zu viel angerichtet. In seinem Namen wurden den Frauen ihre Rechte bestritten und den Kindern Todesschrecken eingejagt. In seinem Namen wurde patriarchale Herrschaft zementiert und nackte Macht glorifiziert. Und außerdem: muss man die Augen nicht ganz schön fest vor der Wirklichkeit zukneifen, um an einen Herrn zu glauben, der alles so herrlich regieret?

Also: Schweigen, während die anderen die alte Glaubensformel vor sich hinmurmeln. Viele mit gesenktem Kopf, so, als müssten sie sich schämen. Statt aufrecht, mit erhobenem Haupt, wie es sich für ein freudiges Bekenntnis gehört. „Lasst uns unseren Glauben bekennen!“  Und wie auf Kommando beugen sich Nacken, und Münder raunen in den Fußboden der Kirche: Ich glaube an Gott.

Ich schäme mich des Evangeliums nicht, hat Paulus doch gesagt. Finde ich auch, also Kopf hoch, wenn ich mich zum Evangelium bekenne.

Jawohl – auch zum allmächtigen Vater. Das spreche ich mittlerweile sogar gern. Irgendwann habe ich verstanden: es kommt gar nicht darauf an, alle Sätze zu prüfen, ob sie meinen höchstpersönlichen Glauben ausdrücken. Sondern: Ich stelle mich in die alte Tradition und verbinde mich über meinen Zeithorizont und über heutige Grenzen hinweg mit all den anderen Christinnen und Christen. Ganz einfach, indem ich dieselben Worte wie sie spreche. Darauf kommt es an. Ich glaube nicht alles so, wie es da steht, oder so, wie es damals gemeint war. Geht ja gar nicht. Glauben ist etwas Lebendiges, was für die gegenwärtige Zeit neu formuliert gehört. Zum Beispiel glaube ich an Gott, der verbietet sich ein Bild von ihm zu machen. Und an Gott, der einen tröstet wie einen seine Mutter tröstet. Und an Gott, die Geistkraft, die weht, wo sie will. Und, ja, auch auf bestimmte Weise an Gott, den allmächtigen Vater.

Neulich habe ich ihn im Museum gesehen, diesen allmächtigen Vater. Völlig erledigt, mit hohlem Blick hängt er schlaff in einem genauso schlaffen blauen Ballon wie in einem Sitzsack. Oscar Yrans Skulptur „Retired Allfather“ – „Pensionierter All-Vater“ zeigt: Der Idee eines allmächtigen Vaters ist die Luft ausgegangen; sie ist in den Ruhestand verabschiedet.

Wirklich? Als Vorstellung von Gott ja. Aber da die Stelle leer ist, blasen sich menschliche Allmachtsphantasien so richtig auf. Ich sehe die Putins und Trumps und Erdogans und Orbans und verstehe, was für ein Protest darin stecken kann, mich zu Gott zu bekennen. Das heißt nämlich auch: Hey, ihr anderen alle könnt euch als allmächtige Herren aufpumpen. Ihr seid es aber nicht. Ihr könnt euch als herrliche Landesväter geben. Ihr seid es aber nicht. Ihr könnt einen Herrscherkult verordnen und euch feiern lassen wie Götter. Ihr seid es aber nicht. Ich glaube nicht an euch.

Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen.

Und ich glaube Jesus, der gesagt hat: Ihr sollt niemanden unter euch Vater nennen auf Erden, denn nur einer ist euer Vater: der im Himmel. (...) Wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden. (Mt 23)

Und ganz besonders denke ich daran, dass die Allmacht dieses Gottes darin besteht, sich aller Macht zu entledigen: Er identifiziert sich mit einem wehrlosen Menschen, der von den Mächtigen am Kreuz ermordet wurde.

Deshalb bekenne ich gern, wann immer wir unser Glaubensbekenntnis anstimmen:

Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen.

Es gilt das gesprochene Wort.

 

 

14.10.2022
Silke Niemeyer