Der wiedergefundene Sohn

Morgenandacht
Der wiedergefundene Sohn
13.05.2019 - 06:35
21.03.2019
Autorin des Textes: Dagmar Köhring
Sendung zum Nachhören
Sendung zum Nachlesen

Mir geht es schlecht. Mein Sohn ist weg. Er wollte unbedingt seine eigenen Erfahrungen machen. Ich musste ihn ziehen lassen. Auch wenn ich nichts davon halte. Ich habe ihm Geld mitgegeben – seinen Anteil am Erbe. Das wollte er so. Ich finde das gar nicht gut. Was wird aus ihm, wenn er scheitert? Andererseits – vielleicht tut es ihm gut, sich mal ein bisschen den Wind des echten Lebens um die Nase wehen zu lassen. Irgendwie muss er ja selbständig werden.

 

Er war schon immer der rebellischere von meinen beiden Söhnen. Der ältere – ja der ist ein Musterknabe. Ehrgeizig – in gewisser Weise. Er will es mir recht machen, das habe ich gemerkt. Und er will unsere Firma voranbringen. Ob er wohl glücklich ist? Er schuftet von morgens bis abends, gönnt sich nichts, sieht seine Frau und seine Kinder nur selten. Ab und zu kommt er dann stolz und legt mir seine Geschäftsabschlüsse vor. Was soll ich machen? Ich muss ihn loben. Er macht das gut. Auch wenn er immer müde aussieht.

Was hat er getobt, als sein kleiner Bruder sich das Erbe auszahlen lassen wollte. „Das ist Verrat! Das schadet dem Betrieb! Muss dieser kleine Egoist immer an sich zuerst denken? Und du hältst auch noch zu ihm! Er ist immer dein Liebling gewesen!“

 

Das habe ich natürlich abgestritten. Ich liebe doch meine Kinder beide gleich! Aber ein Quäntchen Wahrheit ist schon dran – der kleine mit seiner Abenteuerlust und seiner direkten Art konnte mich immer um den Finger wickeln. Und jetzt ist er weg. Dabei ist er doch gar nicht reif genug für eine eigene Existenz, finde ich. Er ist so unbeschwert und lebensfroh – aber manchmal auch völlig realitätsfern und naiv. Musiker will er werden! Das klingt für mich nach einem Leben voller Sorgen.

 

Er fehlt mir. Das kann ich nicht leugnen. Wenn mein Großer im Nadelstreifen zu mir ins Büro kommt und mir von seinen Erfolgen erzählt, dann kann ich nur wehmütig dazu lächeln. Weil ich gerade im Internet im Blog meines Jüngsten gelesen habe, was er so treibt: Für mich klingt das nach Haschrauchen, immer neuen Freundinnen, immer auf Reisen. Das Erbe muss längst aufgebraucht sein.

 

Ich will ihn nicht bedrängen, aber ich verliere ihn auch nicht aus den Augen. Neulich habe ich an einem Bild im Internet mal erkannt, wo er war. Da habe ich gleich einen Mitarbeiter hingeschickt, damit er von Ferne mal schaut, wie’s ihm geht. Der hat ihn auf der Straße angetroffen, wie er Gitarre gespielt und den Hut aufgestellt hatte. Ganz abgerissen habe er ausgesehen und abgemagert. Da hat mir das Herz geblutet.

 

Warum kommt er nicht nach Hause? Ist er zu stolz? Oder traut er sich nicht? Glaubt er, ich würde ihm seinen Lebenswandel nicht verzeihen, wenn er mich darum bittet? Fürchtet er, ich trage ihm nach, dass er einfach so auf und davon ist? Er sollte mich besser kennen. Ich warte doch auf ihn. Jeden Tag. Er ist doch mein Kind! Und wenn er heimkommt: Ich würde ein Fest geben. Das beste Essen würde ich auftragen. Schon allein, weil er wieder da ist. Auch wenn mein Großer wieder toben wird und mir vorwerfen wird: Für mich machst Du nie so was! Davor fürchte ich mich ein bisschen...

 

Ach was! Ich werde meinem Großen dann einfach sagen: „Mein Sohn, du bist allezeit bei mir und alles, was mein ist, das ist dein. Du solltest aber fröhlich und guten Mutes sein; denn dieser dein Bruder war tot und ist wieder lebendig geworden, er war verloren und ist wiedergefunden.

 

Diese Geschichte hat Jesus in der Bibel erzählt, im 15. Kapitel des Lukasevangeliums. Natürlich nicht genau so, sondern auf dem Hintergrund der Zeit, in der er lebte. Und sein Fazit war: Genauso, wie sich Eltern freuen würden, wenn ihr Sohn heimkommt, freut sich Gott über jeden einzelnen Menschen, der zu ihm zurückfindet – egal, aus welcher Situation er kommt.

 

(nach Lukas 15,10-32)

 

Es gilt das gesprochene Wort.

21.03.2019
Autorin des Textes: Dagmar Köhring