Die Luft ist raus

Morgenandacht
Die Luft ist raus
07.07.2021 - 06:35
01.07.2021
Holger Treutmann
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Die Luft ist raus. Trotzdem hat der erste eigene Lederball noch lange einen guten Dienst getan. Er entsprach nicht der Standardgröße. Das Leder war nicht dick genug. Der Ball verformte sich unrund. Über die Jahre war das Ventil unter das Leder gerutscht. Aufpumpen war nicht mehr möglich.  Und so rollte der Ball verlangsamt über den Rasen.  Bei jedem Tritt ächzte der Ball ein wenig unter seiner Altersschwäche, ließ es sich aber gefallen, wenn wir nach den Hausaufgaben am Nachmittag unsere fußballerischen Kunststücke probierten, den schlaffen Ball im Lauf so zwischen Hacke und Spann zu klemmen, um ihn von hinten galant über den Kopf vor uns wieder im Dribbling aufzunehmen. So machen es die Großen bis heute. Gnädig war der Ball auch, wenn wir die Kopfbälle probten. Eine scharf geschossene Flanke zog einem nicht schmerzhaft den Scheitel. 

Ja, die Luft ist raus. Die Freude am Fußball aber bleibt. Bis heute fordert mich das runde Spielgerät zur Aktivität heraus. Fußballeuropameisterschaft. Mit einem Vorbehalt hat sie schon begonnen. Würde es möglich sein, im Juni/ Juli 2021 zu spielen, und wenn ja, mit oder ohne Zuschauer? Ein Bundestrainer, der schon weit vor dem ersten Spiel seinen Rücktritt für die Zeit nach dem Turnier erklärt, um sich selbst und den Fußball insgesamt aus der Schusslinie zu bringen. Ein Verband, der so sehr in Ämter verliebt und mit Skandalen beschäftigt ist, wie man es sonst nur den Kirchen vorwirft. Und Geldflüsse für das sportliche Humankapital, die jedes Maß vermissen lassen und damit zugleich den Grundwert menschlicher Bewegungsfreude und des Sports insgesamt diskreditieren. 

Ja, es gibt auch das andere. Das Fußballfest wie 2006 in Deutschland. Das fröhliche Bekenntnis zu den eigenen Farben bei gleichzeitiger Gastfreundschaft für andere Länder. Eine Spielfreude auf dem Platz, die die Härten des Profifußballs vergessen lässt und auch den 2. Platz wie einen Sieg feiern kann.

Fußball spiegelt das Leben in seinen vielfältigen Facetten. Die Sehnsucht nach Erfolg und Anerkennung ebenso, wie den Umgang mit Niederlage und Verlust. Die Diskussion um Gerechtigkeit und die Manipulation durch Tricks innerhalb der geltenden Spielregeln. Das Foul, das Abseits, die Mauer, das sperrangelweite Tor, das trotzdem verfehlt wird, der Kampfgeist, die Überheblichkeit der Starken und der überraschende Sieg des Außenseiters. Das alles kennen wir doch auch sonst. Der Fußball hat quasi religiöse Züge, weil er so nah am Leben ist. Weil er Wunder geschehen lässt und kollektiven Jubel und Gesang ebenso ermöglicht wie öffentliche Tränen und Trauer, die sonst hinter dunklen Sonnenbrillen auf dem Friedhof verborgen werden oder in religiösen Versammlungen geordnet zelebriert.

Weder der Fußball noch die Religion, weder Vereine noch Parteien, weder der Rechtsstaat noch eine Staatenunion haben derzeit ausreichend Kraft, eine Gemeinschaft zu versammeln, kollektiv  Sinn zu stiften und Werte zu etablieren, die über ein vordergründiges Nützlichkeitsdenken hinausreichen. Die Luft scheint raus zu sein.

Oder gelingt es doch, angesichts drohender Gefahren frischen Wind unter die Flügel zu bekommen für ein gemeinsames Handeln? Einen Geist der Verständigung über alle Unterschiede hinweg, einen Geist der Stärke und des Verstandes, der Weisheit und des Respekts vor den Grundlagen des Lebens? 

„Jünglinge werden müde und matt, und Männer straucheln und fallen.“ (Jes 40, 30)

Das ist kein Wort zur derzeitigen Lage des Fußballs.
Vielmehr ist es ein Hoffnungswort des Propheten Jesaja, das mich glauben lässt, es gäbe eine gute Zukunft und einen guten Geist des gerechten Lebens.

„Aber die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden“, 

spricht der Prophet aus alter Zeit im Namen des lebendigen Gottes.
 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

01.07.2021
Holger Treutmann