Ein Jahr Ehe für alle

Morgenandacht
Ein Jahr Ehe für alle
01.10.2018 - 06:35
13.09.2018
Silke Niemeyer
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1979. Das war das Jahr, als der weißbärtige Ayatollah Chomeini aus dem Flieger stieg, um im Iran die Macht zu übernehmen, als die Sowjets in Afghanistan einmarschierten, als in England die eiserne Lady Margret Thatcher Premierministerin wurde und ich die scheußlichste Frisur meines Lebens hatte.

 

Seit diesem Jahr sind sie zusammen, fast vierzig Jahre, und wirken immer noch frisch verliebt. „Wir hatten von Beginn an einen starken Gleichklang in unseren Lebenswünschen und -vorstellungen. Und unsere Liebe zueinander hat einfach nie abgenommen“, sagt Karl Kreile. (1) Trotzdem haben sie erst heute vor einem Jahr geheiratet. Jetzt wäre das auch nicht mehr nötig gewesen, könnte man sagen. Doch das sehen Karl und Bodo, so heißt die Liebe seines Lebens, anders. Wenn man so lange warten muss, kann es passieren, dass einem jeder Tag länger zu viel wird. Vielleicht hat darum das Berliner Standesamt heute vor einem Jahr am 1. Oktober 2017 geöffnet – obwohl es ein Sonntag ist, als die Ehe für alle in Kraft tritt. Als erstes schwules Paar in Deutschland heiraten Karl Kreile und Bodo Mende.

 

Ich weiß nicht, was das Paar von der kirchlichen Hochzeit hält. Vielen gleichgeschlechtlichen Paaren ist dieser Wunsch vergangen, weil sie von der Kirche nicht akzeptiert, ja sogar verachtet wurden und irgendwann mit ihr gebrochen haben. Ich stelle mir aber vor, ein Bodo und ein Karl würden mit Glockengeläut und Hochzeitsmarsch vor den Traualtar ziehen. Für mich persönlich eine schöne Vorstellung. Da würde ich ihnen die klassische Frage stellen: „Willst du diesen Mann aus Gottes Hand als deinen Ehemann annehmen, ihn lieben und ehren, Freude und Leid mit ihm teilen und ihm die Treue halten, bis der Tod euch scheidet, so antworte: Ja, mit Gottes Hilfe.“

 

Wie oft habe ich diese Frage schon an Paare gerichtet? Manchmal mit der heimlichen Frage: Ob das wohl gut geht mit den beiden? Und nun stehen da in meiner Phantasie Bodo und Karl, ich mag mir weiter ihre Namen ausleihen, zwei, die schon eine kleine Ewigkeit miteinander durch Dick und Dünn gegangen sind, ein gestandenes Paar. 14.000 Tage geteilte Freude und geteiltes Leid – in so einer langen Zeit kommt ja keiner am Leid vorbei. Ein Liebespaar steht da, das sich die Treue gehalten hat – durch Zeiten hindurch, in denen diese Liebe als etwas Verbotenes, Widernatürliches, Unmögliches beäugt und verachtet worden ist. Das will was heißen!

Nur schwer kann ich das christliche Zögern und Zaudern verstehen, die Liebe von gleichgeschlechtlichen Paaren mit gleicher Würde zu betrachten und mit gleichen Rechten zu versehen.

 

Wenn die evangelischen Kirchen in Deutschland sich auch dafür geöffnet haben schwule und lesbische Paare zu segnen, so gestehen bisher nur wenige ihnen eine vollgültige Trauung zu. (2) Weil es so in der Bibel steht, heißt es. Da steht, dass Gott den Menschen als Mann und Frau geschaffen hat, die einander Hilfe sein sollen. Da steht, dass sie ein Fleisch sein werden. Da steht, dass es Gott ein Gräuel ist, wenn ein Mann beim Manne liegt.

 

Ja, das steht da. Da steht, dass der Mann mehrere Frauen haben kann. Da steht, dass die Frau dem Manne untertan sei. Da steht, dass der Hase ein Wiederkäuer ist. Da steht, dass sich die Sonne um die Erde dreht. Das steht da alles. Wer mit „da steht es“ argumentiert, will sich nicht mit dem Gedanken anfreunden, dass das, was da steht, ohne Auslegung umfällt und nur in der Liebe Bestand hat. Auch der Teufel hat Jesus Bibelzitate um die Ohren gehauen, als er ihn in Versuchung führte.

 

Wahrheit ist nicht, was „da steht“. Wahrheit entsteht, wenn man den Lebensgeschichten und Lebenswünschen der Mitmenschen liebevoll begegnet. Und Angst ist nicht in der Liebe. Noch ein Wort aus der Bibel. Keine Angst, die Ehe von Mann und Frau würde ihren Wert verlieren, wenn die von Mann und Mann und Frau und Frau gleich gewürdigt wird, keine Angst!

Oder wie eine alte Freundin, die Standesbeamtin, ganz einfach sagt: „Ganz am Anfang war mir das ja schon komisch. Aber mal ehrlich: Wem nehmen sie denn was weg?“

 

  1. https://www.tagesspiegel.de/berlin/10-jahre-eingetragene-partnerschaft-spaet-gefreut-hat-nie-gereut/4453682.html
  2. https://www.evangelisch.de/inhalte/111225/20-11-2014/segnung-homosexueller-bunt-wie-ein-regenbogen

 

 

Es gilt das gesprochene Wort.

13.09.2018
Silke Niemeyer