Engagement im Plauderton

Morgenandacht
Engagement im Plauderton
17.09.2019 - 06:35
18.07.2019
Holger Treutmann
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Der Kuchen war wirklich gut. Selbstgemacht – wie vieles auf diesem kleinen Hof. Die Eigeninitiative der Familie ist überall auf charmante Weise ablesbar. Eine Scheune mit Haus haben sie sich umgebaut und dahinter einen großzügigen Garten angelegt. Man kann einkehren zu Kaffee und Kuchen, Getränken und kleinen Speisen. Daneben noch ein Geschäftsraum, in dem Geschenke und Pflanzen aus der eigenen Zucht erworben werden können. Ein idealer Platz zum Rasten für Radfahrer und Einheimische des kleinen Dorfes.

 

Vom Hof aus fällt der Blick auf den Kirchturm des Dorfes. Zu sehen ist nur das Gebälk des Dachstuhles. Das ist neu, aus frischem Holz kühn aufgerichtet. Es soll das spitze Dach des Turmes tragen. Wenn es fertig ist, wird es wie ein Finger zum Himmel deuten.

 

Der Betreiber der Gartenwirtschaft setzt sich ein für den Wiederaufbau der Kirche, in seinem kleinen Ort zwischen Glauchau und Altenburg, da wo Sachsen und Thüringen aneinander grenzen.

 

Immer mal wechselte der kleine Ort auch die landeskirchlichen Grenzen, er führte ein Schattendasein. Die Kirchengemeinde spielte in der Zeit der aufstrebenden Naziherrschaft keine rühmliche Rolle. Pfarrer war in den 20er Jahren der aus Bayern stammende Siegfried Leffler. Um ihn und seinen Freund Julius Leutheuser entstand die Bewegung der „Deutschen Christen“. Sie verbanden Hakenkreuz und Christuskreuz ideologisch, beförderten deutschnationale Gedanken im Raum der Kirche. Rassismus besonders gegen das Judentum wurde theologisch legitimiert. In den 30er Jahren leitete Siegfried Leffler dann das so genannte Entjudungsinstitut in Eisenach.

 

Nach dem Krieg verfiel die Kirche mehr und mehr, sicher auch, weil zu Zeiten des sozialistischen Staates weder die Förderung kirchlichen Lebens noch die Aufarbeitung der eigenen Geschichte erwünscht war. Zwar wurden noch Gottesdienste gefeiert, aber die Kirchturmspitze brach ein. Die Glocken stürzten ab. Man erwog, aus der Dorfkirche eine Lagerhalle zu machen.

 

Für die heutigen Einwohner gehört die Kirche im Dorf nicht nur optisch zur Identität. „Gerade wenn ländliche Infrastruktur wegbricht, fühlen sich die Menschen abgehängt und vergessen“, argumentiert die Kirchengemeinde und wirbt für den Wiederaufbau. Nicht nur, um gemeinschaftliches Leben im Dorf lebendig zu halten, sondern auch um der Geschichtsvergessenheit entgegenzutreten.

Der schmale Kirchturm wird auch an die eigene Geschichte erinnern, ganz konkret vor Ort. Da, auf dem Land, wo neue Nationalisten aus Sachsen und Thüringen an Einfluss gewinnen, sollen wieder Glocken läuten.

 

Bewusst wurden die Glocken denen nachempfunden, die schon lang vor den beiden Weltkriegen im Turm hingen. Auf der einen Glocke steht ein biblisches Wort zur Ehre Gottes aus der jüdischen Tradition. Daneben, auf einer anderen, die Einladung Jesu:

Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid.

Ich will euch erquicken.

Ein Wort für die Menschen. Da, auf dem Land, wo viele sich alleingelassen fühlen, besonders wichtig.

Inzwischen sind die drei Glocken gegossen. Nächstes Jahr im April werden sie wieder läuten. Im neuen, spitzen Turm, der wie ein Finger in den Himmel zeigt, erzählt der Betreiber der Gartenwirtschaft mit einem Blick hinüber zum noch nackten Gebälk des Turms.

 

Wie viele andere Kirchen auch, hat die Gemeinde in dem kleinen Ort ihren Pfarrer nicht für sich allein. Viele Dörfer rund herum hat er noch zu versorgen. Aber Menschen vor Ort stehen wie Paten für Gotteshaus, Glauben und Geschichte ein; am Sonntag, aber auch im Alltag, in der Gartenwirtschaft nebenan, bei Kaffee und Kuchen im Plauderton, für Interessierte und solche, die einfach mal vorbeikommen.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

18.07.2019
Holger Treutmann