Engel

Morgenandacht
Engel
30.04.2018 - 06:35
01.03.2018
Jörg Machel
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Sind Engel Berufung, Schicksal oder einfach nur ein Nachklang aus mythischer Zeit? Ich weiß es nicht. Eines aber weiß ich: Engel werden gebraucht. Wenn unser Kind das Haus verlässt, wenn meine Frau auf Reisen geht, wenn ich ins Auto steige, dann sind sie gefordert, unsere Schutzengel. Denn: was haben wir selbst schon in der Hand, wie weit reicht unsere Umsicht, Vorsicht, Handlungsmöglichkeit?

Und doch ist da eine große Skepsis in mir. Engel… so läuft das doch nicht. Wirklich helfen, das kann doch nur meine Umsicht und Vorsicht. Der Rest ist Zufall. Für Engel fehlt der Raum in unserer aufgeklärten Welt. Ich glaube an Gott, ich glaube auch an die Kraft der Liebe, wie aber soll ich mir das Wirken der Engel vorstellen? Mit den Gespenstern sind auch die Engel verschwunden. Ich muss tatsächlich erst ein wenig neben mich treten, meinem Kinder-Ich neu trauen, der Wahrheit der Märchen und Gedichte einen Platz einräumen, um den Engeln eine Chance zu geben.

 

Hilfreich ist eine Kulisse wie in dem wunderbaren Film: „Der Himmel über Berlin“. Da wachen Bruno Ganz und Otto Sander als Engel über die Stadt und ihre Bewohner, und der Zuschauer fühlt sich auf dem Heimweg gar nicht mehr so verloren in der großen, oft so elend kalten Metropole.

Die Engel in dem Film von Wim Wenders sind sehr dezente Wesen – und das haben sie mit ihren biblischen Vorbildern gemein. Sie stehen etwas abseits, werden oft gar nicht wahrgenommen und wachen doch über die Wege der Sterblichen.

Der biblische Prophet Elia erlebte es so: Er wusste nicht mehr weiter. Er wollte sterben, legte sich nieder und erwartete den Tod. Da kam ein Engel und reichte ihm Wasser und Brot. Elia aß und trank, aber er blieb schwach und mutlos. Ohne Hoffnung schlief er wieder ein. Der Engel kam ein zweites Mal, gab noch einmal zu essen und zu trinken. Und nun war es soweit, Elia fasste neuen Mut, machte sich auf und zog seiner Wege.

 

An Elia und seinen Engel musste ich denken, als mir Daniela von ihren Einsätzen als Notfallseelsorgerin erzählte.

Daniela begegnet Menschen, die niedergeschlagen sind wie Elia. Total am Ende und ganz ohne Trost. Menschen, die einen Angehörigen bei einem Unfall verloren haben oder die einen Terrorakt mit ansehen mussten.

Da tut Daniela oft nichts anderes als der Engel, der zu Elia kam. Sie hat einen heißen Tee dabei und einen Schokoriegel, sie reicht ein Taschentuch und eine wärmende Decke und sie schweigt. Sitzt einfach nur dabei und ist ansprechbar.

Und ihr geht es wie dem Engel. Sie muss mit ansehen, dass nichts hilft. Ein Panzer hat sich so stark um den Leidtragenden gelegt, dass kein Kontakt zustandekommt. Immerhin, die Person isst und trinkt ein wenig, trocknet immer wieder die Tränen und wickelt die Decke ganz eng um sich.

Daniela bleibt einfach dabei. Ist da, reicht nach.

Meist passiert das, was auch in der Geschichte von Elia und dem Engel passiert ist. Die Atmung wird ruhiger, die Tränen werden weniger, der Blick geht nicht mehr nur ins Leere, sondern beginnt – langsam – die Umgebung wieder wahrzunehmen.

Man erkundigt sich, möchte etwas wissen, beginnt zu klagen und das Ungeheuerliche auszusprechen, bittet Daniela noch etwas zu bleiben. Irgendwann darf sie dann gehen. Der Mensch will allein sein oder hat Freunde gerufen, ein Angehöriger ist gekommen.

Manchmal fällt der Satz: „Danke, dass Sie da waren. Sie waren ein Engel für mich.“ Engel gibt‘s doch gar nicht, könnte man antworten. Das war doch nur Daniela, die ehrenamtliche Notfallseelsorgerin. Aber dieser Einwand stimmt dann auch nicht ganz, finde ich.

 

01.03.2018
Jörg Machel