Für den Fall, dass der Krieg kommt – oder das Virus...

Morgenandacht
Für den Fall, dass der Krieg kommt – oder das Virus...
18.03.2020 - 06:35
30.01.2020
Petra Schulze
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An der Kasse im Supermarkt. Nebenan hievt eine junge Frau große Tüten mit Haferflocken aufs Band. Ein älterer Herr frotzelt: „Hamsterkauf wegen Corona?“ Die junge Frau guckt ernst: „Ja, und da stehe ich zu. Von diesen Haferflocken kann ich lange überleben.“ Kaum bin ich aus dem Supermarkt raus, denke ich: Vielleicht sollte ich das auch machen? Was habe ich denn noch zu Hause? Würde das reichen, falls mein Stadtteil unter Quarantäne käme? Ein paar Schritte weiter kommt der nächste Supermarkt. Ich gehe rein - ans Regal mit den Haferflocken. Leer. Wirklich. Alle weg! Da sind mir andere zuvorgekommen. Diese Leere macht mir viel mehr Angst als die Warnungen vor dem Corona-Virus. Irrationale Ängste packen mich: Was, wenn ich die Letzte bin, die sich vorbereitet. Ich muss unbedingt auch einen Notvorrat haben. Es kann ja auch was anderes kommen. Ein Orkan, ein Tornado wie „Ela“, der am Pfingstfest 2014 durch meine Straße fegte. Als wir Gestrandete im Hausflur empfangen haben und beköstigten.

Ob Seuche, Virus, Klimakatastrophe oder Krieg: Der Mensch steht immer wieder vor der Angst, eine Lage nicht beherrschen zu können. Vierhundert Jahre wütet die Pest in Europa, das hat sich in das kollektive Gedächtnis eingegraben wie der Krieg. (1)

Und eben nicht zu wissen, wie es ausgeht. Eine neue Situation tritt ein und ich weiß nicht, wie ich mich verhalten soll. Niemand kann sagen, wann und an welchem Ort der Virus auf mich lauert. Einen Impfstoff gibt es nicht. Die Angstforscher sagen, es ist völlig normal, dass man sich ausgeliefert fühlt. Und das ist kein gutes Gefühl. Um dieses loszuwerden, fangen alle an, etwas zu tun. Zum Beispiel zu hamstern. Denn das kann ich ja machen. Da kann ich für mich sorgen. Und das macht sowieso immer Sinn. Jedenfalls sieht es das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe so und empfiehlt allen Haushalten einen Vorrat von Lebensmitteln, Wasser, Medikamenten, Batterien für 10 Tage. (2) Die Regierung hat sogar einen Wettbewerb für ein Notfallkochbuch angestoßen. Was kann man bei Stromausfall noch Gutes aus den haltbaren Lebensmitteln zaubern? (3)

Meine Großmütter haben das noch gekonnt. Aus wenigem eine Mahlzeit machen. Vorräte anlegen. Denn als Kind habe ich es noch erlebt: Da sind schon mal bestimmte Dinge im Supermarkt einfach „aus“ gewesen. Das hat aber nicht beunruhigt. Beunruhigt hat die Großeltern die Kriegs-Erfahrung: Nichts zu essen zu haben. Und so füllen sich die Kellerregale im Haus meiner Kindheit. Einmachgläser mit Apfelmus, Birnen, Kirschen, Pflaumen und Stachelbeeren aus dem eigenen Garten lagern im Keller. Dazu Marmelade und Gelee in rauen Mengen. Falls der Krieg kommt… sind wir vorbereitet:

Kartoffeln haben wir in einer Schütte und Boskop-Äpfel. Kohle für den kleinen Kohleofen, den meine Oma in der Küche neben dem Gasherd stehen hat. Darin kann man auch Holz und Papier verbrennen. Für den Fall, dass Gas und Strom ausfallen. Darauf kocht sie uns im Winter manchmal einen Milchbrei. Mit Haferflocken. Das ist so eine gemütliche Wärme. Und ich, ich habe einen kleinen roten Koffer für Puppenkleider. In den habe ich Zwieback und Knäckebrot gepackt. Das hält sich. Für den Fall, dass der Krieg kommt.

 

Daran muss ich denken, als ich vor den leeren Regalen im Supermarkt stehe.

Natürlich kann man sich einen Notvorrat anlegen – für alle Fälle. Viel wichtiger ist aber: nicht panisch werden. Sich informieren. Wie gefährlich ist die Lage wirklich für mich persönlich und was kann ich tun. Und: im Herzen darauf vertrauen, was die Dichterin Mascha Kaléko einmal geschrieben hat:

Jage die Ängste fort

Und die Angst vor den Ängsten.

Für die paar Jahre

Wird wohl alles noch reichen.

Das Brot im Kasten

Und der Anzug im Schrank.

 

Sage nicht mein.

Es ist dir alles geliehen.

Lebe auf Zeit und sieh,

Wie wenig du brauchst.

Richte dich ein.

Und halte den Koffer bereit. (4)

 

So will ich leben: Haben als hätte ich nicht. Mich binden und bereit sein zum Aufbruch. Ich nenne es Gottvertrauen. Und das ist langfristig nahrhafter als Haferflocken und Hamsterkäufe.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

(1) https://pest-ausstellung.lwl.org/de/

(2) https://www.chip.de/news/Hamsterkaeufe-Regierung-empfiehlt-10-Tages-Vorrat_120461066.html

https://www.welt.de/politik/deutschland/article157812853/Die-komplette-Hamsterkauf-Liste-fuer-den-Notfall.html

(3) https://www.chip.de/news/Rezepte-fuer-den-Katastrophenfall-Bundesamt-bringt-Notfallkochbuch-heraus_182512956.html

(4) Sorge dich nicht! Gedicht von Mascha Kaléko. 28.02.2020 Kalender Zuversicht! 7 Wochen ohne Pessimismus. Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik, Frankfurt am Main: edition chrismon 2019, aus: Mascha Kaléko, Mein Lied geht weiter. Hundert Gedichte. Ausgewählt und herausgegeben von Gisela Zoch-Westphal, dt München 2007, S. 68-69. Mit Freundlicher Genehmigung von dtv Verlagsgesellschaft & Co. KG.

30.01.2020
Petra Schulze