Für dich soll’s rote Rosen regnen

Morgenandacht
Für dich soll’s rote Rosen regnen
04.03.2019 - 06:35
03.01.2019
Autorin des Textes: Ulrike Greim
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Sie ist 52 und gehört zu den Stillen im Lande. Eine Frau, die gerne übersehen wird. Nicht, weil sie nicht ansehnlich wäre, sondern weil sie einfach so schnell verschwindet – innerlich. Den Kopf senkt, die Augen niederschlägt und denkt, sie habe hier garantiert nichts beizutragen. Weil sie gerne hinten sitzt, nie dazwischenruft, immer die anderen ausreden lässt. Selbst wenn sie es kaum aushält. Aber Susann hält ziemlich viel aus.

Nur die Nerven zittern. Und sie hat so lange tapfer versucht, das Zittern zu unterdrücken, den Impuls, wegzulaufen, niedrig zu halten. Bis es dicke kam.

Arbeitsunfähig, schwerkrank, Krankenhaus, Diagnose, nach vielen Monaten die Verrentung. Es fühlte sich wie eine Lösung der Probleme an. Endlich Ruhe. Kein „Muss“ mehr, kein Druck. Allerdings auch fast kein Geld. Die kleine Kreativfirma, dessen Geschäftsführerin sie war, musste ohne sie klarkommen – was ein Problem war. Ihr aber tat es gut, die Tür hinter sich zumachen zu können.

Aufatmen.

 

„Mit 16, sagte ich still:
ich will,
will groß sein, will siegen,
will froh sein, nie lügen.
Mit 16, sagte ich still:
ich will,
will alles oder nichts.“

 

So singt es Hildegard Knef mit ihrer rauchigen Stimme im Radio. Susann singt leise mit.

 

„Für mich soll's rote Rosen regnen,
mir sollten sämtliche Wunder begegnen,
die Welt sollte sich umgestalten
und ihre Sorgen für sich behalten.“

        

Singen kann sie es. Glauben nicht. Das Tor zum Himmel – es mag anderen aufstehen, für sie ist es verschlossen.

Susann ist froh, wenn der Alltag halbwegs läuft. Wenn sie die Arzttermine einhalten kann, den Einkauf schafft, dabei nicht zu viele Leute trifft, weil es sonst länger dauert. Und weil alle fragen, wie es ihr geht. Was soll sie sagen? Die Wahrheit? Ein bisschen Wahrheit?

Mit 52 steht sie im Aus. Gesellschaftlich – weil: Wo soll sie hingehen, wo ihr doch so schnell alles zu viel wird und zu laut. Und finanziell. Die schmale Rente ist eine Qual. Jetzt ärgert sie sich, dass sie so lange Hungerlöhne hingenommen hat, damit die Firma rund kommt. Schmales Gehalt gleich klägliche Rente.

Sie tat es damals für die Sache. Sie liebte ihre Arbeit. Die Produkte waren zauberhaft. Sie liebte die Farben, das kreative Arbeiten, das Entwerfen. Sie managte gerne die Künstlerinnen und Handwerker, die ein und aus gingen. Es war ihr leicht, den richtigen Ton zu treffen. Und sie hatte das sehr, sehr gut gemacht.

Nur konnte sie sich nicht wehren, wenn es zu viel wurde. Konnte nicht gegenhalten, wenn sie ausgenutzt wurde. Selbstschutz – wie schreibt man das?

Und sie ahnte nicht, dass sie eine sehr geschätzte Frau war. Und es bis heute ist.

Desillusioniert nach einer Jugend, die ihren Namen nicht verdiente und nach einer gescheiterten Ehe. Da waren ihre Widerstandskräfte aufgebraucht.


„Und später, sagte ich noch:
Ich möcht verstehen, viel sehen, erfahren, bewahren.
Und später, sagte ich noch: Ich möcht
nicht allein sein und doch frei sein.
Für mich soll's rote Rosen regnen.“

 

Singen ist etwas Feines. Im Chor. Mit den anderen. Träumen. Vorwegnehmen, was vielleicht allen blüht, auch wenn es jetzt keiner sehen kann.

Im Singen geht manchmal ein Tor auf. In guten Tagen kann sie sogar grölen, man glaubt es kaum. Ja, es tut gut. Da kriegt sie rote Wangen.

 

„Mir sollten sämtliche Wunder begegnen,
das Glück sollte sich sanft verhalten,
es soll mein Schicksal mit Liebe verwalten.“

 

Nette Poesie. Bloß: Wenn man 52 ist, glaubt man an keine Wunder mehr.

Sagt Susann.

 

Aber ich – ich glaub’ dran.
An den Wind, der plötzlich aufkommt und haste-nicht-gesehen die Fahne dreht.
Und an die Wolken, die er wegbläst.
Und an die Sonne, die so warm scheint, wenn du ihr dein Gesicht hinhältst, Susann!
Und an den einen, Gott, der sagt, dass er die Sonne ist. Der dich aufwärmt und dich widerständig macht.


Für dich, Susann, soll's rote Rosen regnen,
dir sollen sämtliche Wunder begegnen,
das Glück sollte sich sanft verhalten,
es soll dein Schicksal mit Liebe verwalten.
 

Du glaubst es noch nicht. Ich glaub es für dich.

 

Es gilt das gesprochene Wort

03.01.2019
Autorin des Textes: Ulrike Greim