Für Oskar, Paula und Ada – zum Holocaust-Gedenktag

Morgenandacht
Für Oskar, Paula und Ada – zum Holocaust-Gedenktag
27.01.2016 - 06:35
27.12.2015
Pfarrer Stephan Krebs

Oskar bekommt als kleiner Junge eine Hirnhautentzündung. Fortan ist er gehörlos. Taub ist auch die kleine Paula – von Geburt. Zudem sieht sie schlecht. Die beiden finden sich zur rechten Zeit. Sie heiraten und schon bald kündigt sich ein Kind an. Oskar und Paula im Glück. Oder doch nicht? Denn geboren wird die Tochter in Krakau im Dezember 1939. Kurz davor war über sie der Wahnsinn des Zweiten Weltkrieges hereingebrochen. Wo immer die Nationalsozialisten hinkommen, machen sie Jagd auf Juden. Oskar und Paula sind Juden, sie werden in einem Lager eingesperrt. Doch nach einigen Monaten gelingt ihnen die Flucht. Die kleine Familie findet Unterschlupf bei Freunden, muss sich aber alle paar Monate woanders verstecken. So entsteht eine ganze Kette von Helfern. Schließlich kommen sie in einem abgelegenen Dorf unter. Im Keller von Ada, einer beherzten Frau, und ihrem Mann. Dort bringt Paula ihr zweites Kind zu Welt – einen Sohn, geboren zwischen Hoffnung und Angst.

 

Mehrmals durchsuchen Soldaten die Häuser. Aber immer gelingt es Ada, sie abzuwimmeln. Als Frau eines ehemaligen polnischen Offiziers weiß sie, wie man resolut genug auftritt. Aber nicht nur sie riskiert ihr Leben. Viele im Dorf wissen Bescheid. Alle halten zu ihnen.

 

Fast zwei Jahre lang geht das gut. Doch das Leben im Versteck zermürbt Oskar. Er kann ja nicht hören, wenn die Soldaten kommen. Oskars Gemüt verfinstert sich, er wird depressiv, auch aggressiv und manchmal wirr im Kopf. Oft streiten sich Paula und Oskar.

 

Dann rückt die Front näher. Am 27. Januar 1945 befreit die Rote Armee das Konzentrationslager Auschwitz. Das war heute vor 71 Jahren. Deshalb ist heute der Holocaust-Gedenktag. Er erinnert an die sechs Millionen Juden, die dem Rassenwahn der Nazis zum Opfer gefallen sind. Unter ihnen auch die Eltern von Oskar und Paula. Die beiden selbst haben überlebt. Sie hatten Glück. Oder doch nicht? Das Überleben war schwer. Das Überlebt-haben ist es auch.

 

1947 wandern sie nach Schweden aus, inzwischen mit drei Kindern. Dort läuft Paula nach einem Streit auf die Straße und direkt vor ein Auto. Sie hört es ja nicht. Und der Linksverkehr, der damals in Schweden noch galt, ist für sie ungewohnt. So stirbt Paula im Dezember 1950 und Oskar versinkt noch tiefer in seine seelische Krankheit. Er geht mit seinen drei Kindern zu Verwandten in die USA, dann nach Israel. Doch heimisch wird er nirgendwo mehr. Seine Erlebnisse nimmt er überall hin mit. Gewalt und Unrecht sind nicht vorbei, wenn sie zu Ende sind.

 

1960 wendet sich Oskar an den neuen deutschen Staat, den demokratischen. Dort beantragt er eine Entschädigung. Dafür muss er allerdings beweisen, dass es die Nazi-Verfolgung war, die ihn psychisch krank gemacht hat. Wieder hilft Ada, seine beherzte Retterin. Sie wird amtlich befragt, ihre Aussage wird ins Deutsche übersetzt. Das Ergebnis: Deutschland erkennt an, dass Oskar während der Nazi-Zeit – Zitat. – „einen vitalen Knick“ verkraften musste. Der rechtfertige allerdings nur eine Erwerbsminderungsrente von 30 Prozent. Denn seine eigentliche Krankheit – eine Schizophrenie- – sei erst 1951 ausgebrochen – also nach dem Tod seiner Frau. Dafür könne der deutsche Staat aber nichts.

 

Einen guten Nebeneffekt hat die Sache aber doch: Alles wurde aufgeschrieben und amtlich beglaubigt. So wird nicht vergessen, wie es Oskar und Paula ergangen ist. Auch was Ada und die anderen für sie getan haben.

 

Viele Helfer waren Christen. Ob sie deshalb so mutig gehandelt haben, weiß ich nicht. Ich wünschte es mir. Denn so viele Christen haben zum Unrecht der Nazi-Zeit geschwiegen oder sich sogar daran beteiligt. Dabei müsste einem der Glaube doch den Mut geben, für das Leben anderer einzutreten. Und gegen Gewalt. Zum Glauben gehört – für mich untrennbar – eine Leidenschaft für das Leben, weil es ein Geschenk Gottes ist und deshalb so kostbar. Auch daran erinnert mich der heutige Tag, der Gedenktag für die Opfer des Holocaust. Er erinnert zudem an mutige Helfer wie Ada und die vielen anderen.

27.12.2015
Pfarrer Stephan Krebs