Geboren von der Jungfrau Maria

Morgenandacht

Gemeinfrei via Unsplash/ Grant Whitty

Geboren von der Jungfrau Maria
24.11.2022 - 06:35
14.10.2022
Silke Niemeyer
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Die Sendung zum Nachlesen: 

 

Ich glaube an Jesus Christus,

empfangen durch den Heiligen Geist,

geboren von der Jungfrau Maria.

 

Diese Worte im Glaubensbekenntnis aller Christen kann ich nicht ohne einen gewissen Trotz sprechen. Diese Maria muss frei sein, heraus aus dem Gefängnis der Dogmen und Bilder. Erst ohne Heiligenschein wird sie das freudlose Reine-Magd-Ewige-Jungfrau-Image los. Das erlöst Maria von der Qual sich jeder Liebeslust zu enthalten. Der Goldlack gehört ab von ihr. (1)

 

In Marias Leben ist nämlich nichts, aber auch gar nichts Gold. Die biblischen Geschichten darüber, wie Maria zum Kinde kommt, sind Ende des ersten Jahrhunderts komponiert worden. Sie stehen im Matthäus- und im Lukasevangelium der Bibel. Sie sind Legenden. Aber solche, die harte Realität widerspiegeln. Und die beschreibt ein Zeitgenosse so:

„unsere Jungfrauen wurden befleckt, unsere Frauen vergewaltigt; unsere Greise verunehrt,
unsere Gerechten fortgeführt; unsere Kinder geraubt …“

 

Was heißt es für eine junge Frau in so einer von alltäglicher und unberechenbarer Gewalt erfüllten Welt zu leben? Es ist eine von ihnen, die die Geschichten von der Geburt des Messias Jesus in den Mittelpunkt stellen: Maria, Mirjam wie ihre Eltern sie rufen. Sie ist Jungfrau, das heißt: ein Mädchen eigentlich noch, gerade geschlechtsreif und heiratsfähig. Und schon verlobt. So ist das in dieser Zeit. Das Wort „Jungfrau“ sagt in den Evangelien weniger über Marias biologischen Zustand als über ihren rechtlichen Status (2). Eine Jungfrau ist eine Frau vor der Ehe. Die sollte idealerweise noch keinen Geschlechtsverkehr gehabt haben. Aber wie das mit Idealen in Zeiten von Krieg, Armut und Gewalt ist, das sieht man auch heute in aller Brutalität. Und dass Maria ohne Geschlechtsverkehr schwanger geworden ist: diese Vorstellung entwickelt der Philosoph Justin erst im zweiten Jahrhundert nach Christus.

 

Also: Maria ist unverheiratet schwanger, kein seltenes Frauenschicksal damals. Die Evangelien schweigen sich aus, von wem. Ihnen kommt es nicht darauf an Marias Erniedrigung durchzubuchstabieren. Sie buchstabieren vielmehr, wie Gott dieser Frau treu bleibt, wie er sich auf ihre Seite stellt, sie aus der Schande reißt und zu Ehren bringt. Gott lässt ausrichten: Dieses Kind, das eigentlich nicht sein darf, ist vom Heiligen Geist empfangen. Es ist eine Frucht, ein Erzeugnis der heiligen Geistkraft Gottes. Das Kind mit dem namenlosen Vater ist Gottes Sohn. Mit ihm will Gott eine Befreiungsgeschichte beginnen für alle, die niedergeschlagen, verletzt, beschädigt sind. Und wie das praktisch wird, davon erzählt die Geschichte auch. Dazu sind beherzte Menschen wie Josef nötig, die verstehen, dass sie etwas gegen die Gewalt unternehmen können. Dass es auf sie ankommt. Josef entscheidet sich unter Gewissensnöten gegen die Konvention. Er steht zu Maria, nimmt ihr Kind als seines an und rettet beider Würde und Leben.

 

Und Maria - sie singt ein trotziges Lied, das berühmte Magnificat:

Meine Seele lobt Gott, und mein Geist jubelt über Gott, meine Rettung; denn er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen. Er stößt die Gewalttätigen vom Thron und erhebt die Erniedrigten.

 

Maria ist eine Frau wie viele und genau darum auch ein Hoffnungsbild für viele. Die Auslegung hat diese großartige Geschichte zu einer Karikatur ihrer selbst gemacht. Sie hat Maria zur einzigartigen ewigen Jungfrau stilisiert. Das ist ein Trauerspiel. Eine Schmierenkomödie wird daraus, wenn Theologen das Dogma der Jungfräulichkeit noch heute benutzen, um es Frauen schwerzumachen. Ich lasse mich damit nicht für dumm verkaufen. Ich glaube es ihnen nicht.

 

Ich glaube an Jesus Christus,

empfangen durch den heiligen Geist,

geboren von der Jungfrau Maria.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

 

Literatur dieser Sendung:

  1. Inspirierend für meine Andacht ist vor allem die Auslegung von Luise Schottroff, von der ich auch das Zitat aus dem jüdischen Buch 4. Esra beziehe. Luise Schottroff, Verunehrt, beschädigt - von Gott ermutigt (Mt 1,18-21), in: Evangelische Zeitung für Hamburg und Schleswig-Holstein, Nr. 51/52, 23.12.2012, 8-9. Und ausführlicher: Luise Schottroff, Der Anfang des Neuen Testaments. Matthäus 1-4 neu entdeckt, Stuttgart 2019      
  2. Differenziert nachzulesen hier: https://www.bibelwissenschaft.de/wibilex/das-bibellexikon/lexikon/sachwort/anzeigen/details/maria-mutter-jesu/ch/d265f98130b3dfb986b42712aa4bce47/
14.10.2022
Silke Niemeyer