Glücklich die Unglücklichen!

Morgenandacht
Glücklich die Unglücklichen!
25.01.2020 - 06:35
03.01.2020
Wilhelm Otto Deutsch
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Vor einigen Jahren ergab eine bundesweite Umfrage, dass die Saarländer die unglücklichsten Menschen in Deutschland seien [2006]. Ich darf das sagen, weil ich selbst im Saarland lebe. Und wenig später ergab eine andere, davon unabhängige Umfrage, dass wir Saarländer die fremdenfeindlichsten Bürger in den westlichen Bundesländern sind.

 

Da fragt man sich natürlich, ob das eine mit dem anderen zusammenhängt. Z. B. dass wir Saarländer uns wegen der Ausländer im Lande so unglücklich fühlen. Oder anders gefragt: Geben wir den Ausländern die Schuld daran, dass wir so unglücklich sind? Wie die richtige Antwort darauf lautet, ist reine Spekulation. Es passiert häufig genug, dass Menschen, die sich unglücklich fühlen, anderen oder gar Fremden die Schuld daran geben.

 

Was „Glück“ ist, kann man nicht definieren. Man muss es erleben. Und wenn man es erlebt, dann weiß man es. Das muss einem niemand erklären. Es gibt aber auch ein Glück, das spürt man gar nicht – oder erst dann, wenn es verflogen ist. Also erst, wenn man es vermisst. Es ist wie mit der Gesundheit: Ihrer wird man sich erst bewusst, wenn man krank ist.

 

Mir hat das vor kurzem ein Autist eindrücklich erklärt. Er war Hauptdarsteller in einem Film und erzählt dem Publikum bei einem Filmfestival: „Als Kind war ich glücklich, bis ich anfing zu sprechen“. Lange Zeit hatte er nicht mit anderen geredet: Er war ganz bei sich selbst. Er wusste aber nicht, dass das ein Glückszustand war: so ganz bei sich selbst zu sein. Das merkte er erst, als er an seiner Kommunikation mit anderen scheiterte. Als dieses Glück also vorbei war.

 

Wenn Jesus in der Bergpredigt Menschen, die hungern und dürsten, die arm sind oder die verfolgt werden, die um einen anderen Menschen trauern „glücklich“ nennt, dann redet Jesus auch von einem Glück, dass diese Menschen gar nicht spüren. Aber er erinnert sie nicht an ein Glück, das sie einmal erlebt haben, sondern er verspricht ihnen ein Glück, das erst noch kommt. „Glücklich“ nennt Jesus diese Menschen im Blick auf ihre Zukunft. Und sie dürfen sich jetzt schon auf das freuen, was ihnen blüht.

 

Es sagt sich so leicht daher, „Die Vorfreude ist die schönste Freude!“ Der Satz hat aber in Wirklichkeit eine tiefere Bedeutung. Die Vorfreude auf etwas Bevorstehendes oder Versprochenes bewegt häufig mehr als die Erfüllung. Und genau dazu lädt Jesus die Menschen ein, die er da in der Bergpredigt glücklich nennt: „Ihr könnt euch jetzt schon darauf freuen, dass Gott mit euch anderes vorhat als eure Armut, eure Trauer, euren Hunger und Durst. Darum nenne ich euch ‚glücklich‘“!

 

Jesus selbst war ein ausgesprochen glücklicher Mensch: ein Mensch, „der seine Umgebung mit Glück ansteckte, der seine Kraft weitergab, der verschenkte, was er hatte“ (D. Sölle) – weil er wusste, dass es zurückkommt. Es wird ja nichts vergeblich verschenkt. Wir Menschen leben davon, dass wir beschenkt werden. Denn „die Dinge, von denen wir am tiefsten leben, kann man nicht kaufen und nicht herstellen: nicht die Liebe, nicht die Freundschaft, nicht die Vergebung. Sie sind gratis“ (F. Steffensky). Und sie zu erleben, ist - Glück. Glück ist also gratis, ist „gratia“, wie das Ursprungswort von gratis heißt: Gnade! Die kann man nicht kaufen, und keiner verdient sie – aber allen ist sie versprochen!

 

Nicht nur als Saarländer will ich mir das zu Herzen nehmen. Es macht mich frei davon, die Schuld für Unglück bei anderen oder Fremden zu suchen.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

03.01.2020
Wilhelm Otto Deutsch