God bless you - Der US-Präsident und die Religion

Morgenandacht
God bless you - Der US-Präsident und die Religion
20.01.2021 - 06:35
18.01.2021
Stephan Krebs
Sendung zum Nachhören

Die Sendung zum Nachlesen: 

Noch ist es Nacht in den Vereinigten Staaten von Amerika. Aber der 20. Januar hat schon begonnen. Der Tag, an dem seit über 80 Jahren der neue Präsident vereidigt wird.

Das wird spannend, nicht nur für die USA, sondern für die ganze Welt. Denn es wirkt sich global aus, wer die Weltmacht USA regiert.

Die Inauguration des US-Präsidenten ist wie ein großer Festgottesdienst der civil religion, der Zivilreligion, die dieses Land geistlich zusammenhält. Da kommt es auf jedes Detail an.

Wie wird der neue Präsident auftreten? Jimmy Carter und seine Frau gingen beim Festzug zum Weißen Haus zu Fuß: als bodenständige und bescheidene Diener Gottes und „seines“ Landes.

Wie wird Joe Biden seinen Amtseid auf die Bibel leisten? Barack Obama legte seine Hand dabei auf die Original-Bibel von Abraham Lincoln, der in den USA für das Ende der Sklaverei steht.

Wie viele Gebete wird es für den neuen Präsidenten geben? Normalerweise sind es zwei bis vier. Donald Trump, obwohl eher wenig religiös, ließ mit sechs Gebeten den Rekord aufstellen.

Was wird der katholische Joe Biden ins Zentrum der Antrittsrede stellen, die traditionell einer Predigt gleicht? John F. Kennedy, seinerzeit der erste katholische Präsident der USA, appellierte an die Hingabe und Opferbereitschaft seiner Landsleute: „Frage nicht, was dein Land für dich tun kann, sondern frage was du für dein Land tun kannst.“

Alle Präsidenten schöpfen aus einem Vokabular von großen Worten. Sie umschreiben höhere Werte. Diese Werte sollen die USA mit ihrer unübersichtlichen Vielfalt an Menschen zusammenhalten: Hingabe und Hilfsbereitschaft, Gerechtigkeit und Freiheit, Hoffnung und Zuversicht, Respekt und Nächstenliebe. Die Werte sind zwar aus der Welt des christlichen Glaubens abgeleitet, sie haben sich aber längst gelöst von dem Glauben an Jesus Christus als Erlöser der Welt. Sie schaffen in den USA eine Art eigenen Glauben, der merkwürdig unbestimmt bleibt. Da ist viel Pathos im Spiel und wenig Präzision. Doch diese Zivilreligion hat in den USA bislang eine erhebliche integrative Kraft entfaltet.

Präsident Eisenhower hat diese Art zu glauben auf den Punkt gebracht, indem er sagte: Es sei letztlich egal, was jeder glaube. Hauptsache er glaube. Das ist eine ganz spezielle Mischung aus Nation und Glauben. Die meisten Kirchen machen dabei mit: In nahezu jedem Kirchengebäude steht eine große US-Flagge. So prominent hingen in deutschen Kirchen zuletzt die Hakenkreuz-Fahnen der Nazis vor 70 Jahren. Aus deutscher Sicht wirkt es befremdlich, wie in den USA die Zivilreligion gelebt wird.

Wenn es um das Verhältnis von Staat und Kirche geht, ticken Deutschland und die USA komplett anders – aber beide paradox: In den USA sind Kirchen und Staat organisatorisch konsequent getrennt. Umso unbekümmerter werden im Alltag Glauben und Politik verquickt. In Deutschland sind Staat und Kirche eine vielschichtige Partnerschaft eingegangen. Doch im Alltag liegt ein starkes Tabu auf dem Thema Glauben. Kein Politiker und keine Politikerin würden sich hier bei einer Amtseinführung von jemandem die Hand auflegen und segnen lassen. Und niemand würde am Ende einer Antrittsrede den Menschen zurufen: „Gott segne euch!“ In den USA gehört beides schlicht dazu. Eines ist in beiden Ländern aber gleich: Aus der Überzeugung ihres Glaubens heraus übernehmen Menschen Verantwortung für den Staat.

Ich wünsche dem neuen Präsidenten, dass ihn diese Überzeugung wirklich trägt. Denn vor ihm liegen gigantische Aufgaben. Er muss ein Land mit sich selbst versöhnen, weil es in sich tief gespalten ist. Er muss der Präsident von Millionen Menschen werden, die ihm zutiefst misstrauen. Er muss Antworten auf die globalen Gefahren finden, bei denen die Corona-Pandemie nur eine von vielen ist. Diese Aufgaben sind übermenschlich und allein nicht zu schaffen. Es sei denn mit Gottes Hilfe. Denn das ist es, was den Glauben an den einen Gott eigentlich ausmacht: Einsicht in die eigenen Grenzen und Vertrauen in Gottes Hilfe.

Für heute heißt es erst einmal hoffen und beten, dass der Tag friedlich und würdevoll verläuft.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

18.01.2021
Stephan Krebs