Großzügigkeit

Morgenandacht
Großzügigkeit
05.01.2021 - 06:35
05.01.2021
Jörg Machel
Sendung zum Nachhören

Die Sendung zum Nachlesen: 

Man muss eine Menge lernen, um dem Leben gewachsen zu sein. Den Kindern wird immer früher immer mehr abverlangt, im Kindergarten, in der Schule, im Straßenverkehr. In den Kaufhäusern stehen sie in der Computerabteilung und erklären den Großeltern gern die Geheimnisse dieser neuen, fremden Welt.

Doch es sind ja nicht nur die Grundregeln mathematischen Denkens, die sich Kindern fast spielerisch erschließen; es ist die Methode des immer effektiveren Umgangs mit der Welt, die von Generation zu Generation immer besser beherrscht wird. Die Lebensweisheit der Neuzeit hat vor allem Rezepte anzubieten, wie man in immer kürzerer Zeit immer mehr herstellt, immer mehr verdient, und dann auch immer mehr verbraucht.

Was aber das Zusammenleben der Menschen betrifft, so lehrt die Alltagserfahrung: sei auf der Hut! Effektiv zu arbeiten und seinen Mitmenschen mit Vorsicht zu begegnen, gilt als weise und lebensklug. Und für ein Leben in Wohlstand mag diese Weltsicht hilfreich sein, doch für ein erfülltes Leben reicht sie nicht aus. Um Anteil an der Fülle des Lebens zu haben, muss ich sogar einiges wieder verlernen, was vielen als klug gilt. Das jedenfalls behauptet dieser Bibelspruch:

„Einer teilt reichlich aus und hat immer mehr; ein anderer kargt, wo er nicht soll, und wird doch immer ärmer. Wer reichlich gibt, wird gelabt, und wer reichlich tränkt, der wird auch getränkt werden.“ (Sprüche Salomonis 11,24-25)

Gegen ein nur selbstbezogenes Menschenbild steht die biblische Weisheit: Wer reichlich gibt, der bekommt reichlich geschenkt. Vielleicht nicht sofort, vielleicht nicht von dem, den er beschenkt hat, vielleicht nicht in der Währung, mit der er gegeben hat. Und doch zielt gerade das reichliche Geben auf ein Leben in Fülle. Mir scheint es, dass genau diese Lebenshaltung des Gebens Erfolg verspricht. Sie befreit mich aus der buchhalterischen Rechnerei um den abrechenbaren Gewinn. Sie schafft einen Raum, in dem sich Großzügigkeit ereignen kann.

Die Geschäftswelt würde ein solches Geben als Investition bezeichnen. Die Menschenwelt bietet darüber hinaus gehende Erfahrungen. Unter Menschen wird nämlich in vielen Währungen gehandelt, nicht nur in wirtschaftlichen Größen. Da zählen Zuneigung und Beachtung, eine kleine Aufmerksamkeit, die bewusste Wahl eines Geschenkes. Wer großzügig lebt, der greift nach Größerem.

Ein erfülltes Leben verlangt danach, dass ich manchmal bereit bin, Dinge zu tun, die ganz und gar nicht vernünftig erscheinen. Manchen mag die Weisheit der Bibel eine Zumutung sein, wenn sie verlangt: mühsam Erlerntes wieder zu verlernen. Im Mathematikunterricht mag die Formel stimmen, dass der kürzeste Weg zwischen zwei Punkten die Gerade ist. Im Leben stimmt sie ganz sicher nicht.

Auch wenn ich das Zusammenleben der Völker betrachte: es gelingt nur dann, wenn über das eigene Recht und den eigenen Anspruch auch das Interesse der anderen gesehen wird. Geschieht dies nicht, so vernichten sich ganze Völker in dem Bewusstsein, im Recht zu sein. Die Großzügigkeit der biblischen Weisheit – sie würde auch das Zusammenleben der Völker entkrampfen.

Die Bibel rät nicht zu Sparsamkeit, sondern zu Großzügigkeit. Das heißt doch wohl, nicht da zu sparen, wo Not ist, sondern so zu teilen, dass Leben überall möglich wird. Jede und jeder einzelne, die Völker und die Natur bedürfen solcher Großzügigkeit, wenn nicht alles zu Grunde gehen soll. Mir scheint, das haben die Jugendlichen heute mit „Fridays for Future“ deutlich besser begriffen als meine Generation.

 

05.01.2021
Jörg Machel