Hans

Morgenandacht
Hans
07.01.2020 - 06:35
19.12.2019
Ulrike Greim
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32 Jahre alt ist er geworden. An einem Freitag im Advent haben sie ihn zu Grabe getragen. Seine Freunde, seine Assistenten, seine Schwester, seine Eltern, seine Großmutter, seine Onkels, seine Nichte. Es war fürchterlich traurig.

Nicht unerwartet, aber was hilft das schon.

 

Die Ärzte hatten gesagt: Er wird keine achtzehn Jahre alt werden. Muskeldystrophie. Er schwindet langsam dahin. Baut ab. Muskeln werden weniger. Kontinuierlich.

 

Hans saß im Rollstuhl. Ein fröhlicher junger Mann. Klug, schlagfertig, mit Schalk im Nacken. Mutter Lehrerin, Vater Krankenpfleger. Beide ein Herz voller Gold. Hätte ein anderes Paar ihn so lange tragen können?

Die Liebe, heißt es, trägt alles.

 

Sie haben eine neue Wohnung gesucht, in der auch er gut leben kann. Ein eigenes Appartement, mit Rampe. Auch ein Schwerbehinderter wird erwachsen und braucht Privatsphäre. Und Assistenten, die ihn rund um die Uhr betreuen, wechselnd in Schichten.

 

Dann irgendwann konnte Hans auch die Arme nicht mehr bewegen, nur den Finger. Er steuerte alles per Joystick. Machte eine Ausbildung zum Bürokaufmann – online. Keine Schule hätte ihn genommen. Viel zu aufwändig. Er hat es trotzdem geschafft. Blitzgescheit.

 

Irgendwann wurden auch die Finger zu schlaff. Steuerung nur über die Zunge. Alles andere machen die Assistenten: morgens aus dem Bett holen, waschen, anziehen, in den Rollstuhl setzen, alle Geräte installieren – die zum Beatmen, die Ernährungspumpe. Mitkriegen, was er braucht. Bloß nicht erkälten, bloß nicht wundsitzen.

 

Die Augen waren helle. Über eine Iriserkennung konnte die Kamera einfangen, was er will. Er tippte mit den Augen auf die Tastatur auf dem Bildschirm und der Computer übersetzte es in Sprache.

Hans liebte Queen, U2 und Grönemeyer. Schaute gerne Filme.

 

Die Eltern fochten viele Kämpfe. Mit der Krankenkasse, mit den Behörden. Es ging schließlich um viel Geld. Sie mussten Kredite aufnehmen, wenn sich die Behörden nicht einig waren.

 

Hans wurde älter, wurde mutiger.

Einmal New York – das war sein Traum. Absolut illusorisch. Allein den High-Tech-Rollstuhl zu bewegen und all die Geräte. Das passt in keinen Flieger. Die Spezialnahrung auf Vorrat – wie viele Kisten sollten das sein?

Heimlich haben die wunderbaren Freunde gesammelt. Rund 18.000 Euro kamen zusammen. Für die Eltern, die Schwester, ein paar Freunde, die Assistenten und Hans. Für das Schiff hin und zurück. Für das Hotel. Die Schwester besorgte Karten für U2 im Madison Square Garden.

 

Völlig irre. Sie haben es gemacht. Im Sommer vor vier Jahren.

Die Herzen von vielen reisten mit.

Die Bilder von den Hochhausschluchten machten die Runde. Wahnsinn. Hans in New York.

Glücklich im Kreis seiner Lieben.

 

Er war ein starker junger Mann. Getragen von seiner Familie. Von der Zuneigung aller Freundinnen und Freunde. Und dem Willen zu leben.

Jahr um Jahr lebte er. Es ging ihm immer schlechter, aber immerhin. Dann nahm ihm eine Lungenentzündung den letzten Atem.

 

Sein Herz hatte aufgehört zu schlagen. Sie haben ihn aus dem Krankenhaus nach Hause geholt. Da lag er in seinem Bett. Alle kamen. Alle weinten.

Mutter und Vater, Freundinnen und Freunde, seine Assistenten. Sie holten die Pfarrerin, um ihn zu segnen.

Sie standen an seinem Bett, Arm in Arm. Wie eine Heerschaar Engel. Und hörten seine Musik – Pink Floyd „Wish you where here“.

Freunde brachten Essen. Weinten mit, lachten mit, erzählten, schwiegen. Einen ganzen Tag lang.

 

Die Liebe trägt alles.

Auch das Sterben. Und weit darüber hinaus.

An einem Freitag im Advent haben sie ihn beerdigt.

Und nun leben zwei Eltern weiter. Und eine Schwester. Seine Assistenten.

Es ist leerer in ihrem Leben. Und reicher.

 

Die Liebe trägt alles.

Die Trauer, die Trauernden. Die Lebenden, die Toten.

Wenn alles Kluge und alles Wissende, wenn das, was möglich ist und was unmöglich ist, an sein Ende kommt, dann bleibt eben diese eine Kraft.

Sie trägt alles, sie glaubt alles, sie verändert alles.

 

Jetzt sehen wir durch einen dunklen Spiegel in einem dunklen Bild; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Das Hoffen bleibt, das Glauben. Am größten aber ist die Liebe.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

19.12.2019
Ulrike Greim