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07.09.2019 - 06:35
13.06.2019
Cornelia Coenen-Marx
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Was wärst Du lieber: arm mit vielen Freunden oder reich und allein? Das hat kürzlich ein Elfjähriger seinen Stiefvater gefragt. „Keine Frage“, sagte der – „Freunde sind das Wichtigste; denn Einsamkeit ist schlimmer als Armut“. Aber für den Elfjährigen war das durchaus eine Frage. Und der Journalist, der die Geschichte mit seinem Stiefsohn im britischen Observer erzählte, war merklich irritiert. Denn der Junge wollte lieber reich sein. Freunde, meinte er, wären doch leicht zu finden: Auf YouTube, facebook und Co. Der Elfjährige gehört zur Generation der Digital Natives – immer im Netz unterwegs, auch wenn er sich mit seinen Freunden trifft.

Der Artikel ging der Frage nach, wie die Mediengesellschaft uns verändert. Einerseits ist es jederzeit möglich, sich mit anderen auszutauschen. Zugleich aber nimmt die Einsamkeit zu. Jeder zehnte Deutsche gibt an, dass er sich einsam fühlt. Junge Leute zwischen 20 und 30, aber auch Menschen über 60 sind besonders betroffen. Einsamkeit wird zur neuen Volkskrankheit.

Mehr als 40 Prozent der 70- bis 85-jährigen leben allein. Die Wohnentfernung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern nimmt ständig zu. Nur noch ein Viertel wohnt am gleichen Ort. Die Kontakte reißen nicht ab, aber die über 70-jährigen bekommen immer seltener praktische Hilfe bei Fahrten, Einkäufen, kleinen häuslichen Diensten – und auch bei der Pflege. Telefonieren allein reicht dann doch nicht. Entscheidend ist die face-to-face-Begegnung: dass wir sehen, riechen, spüren, wie es dem anderen geht.

 

In Großbritannien wurde Anfang letzten Jahres ein Ministerium gegen Einsamkeit geschaffen. 75 Prozent der Landbevölkerung sind dort älter als 65 – sie leben in Gegenden, wo Post und Pub geschlossen sind und immer weniger Busse fahren. Herz-Kreislauf-Probleme oder Depressionen verschlechtern sich, wenn Menschen ihre Wohnung kaum noch verlassen. Deshalb gibt es jetzt sogar die Möglichkeit, soziale Angebote auf Rezept zu verschreiben. Ein Konzert, eine Wanderung mit anderen zusammen oder eine Selbsthilfegruppe. Wissenschaftler haben berechnet, dass auf diese Weise 20 Prozent Gesundheitskosten eingespart werden können. Menschen brauchen Menschen, um zu gesunden.

Jesus wusste das. Er war ein Künstler darin, Menschen zusammen zu bringen. Und ganz verschiedene Menschen zu Freunden zu machen. Ich sehe ihn an einem Tisch mit Zollbeamten und Prostituierten. Mit Kindern auf dem Schoss und einem Kranken im Arm. Er hatte keine Angst vor Berührung – bei Leprakranken nicht, nicht bei der Frau mit jahrelangen Blutungen, auch nicht bei Menschen mit Behinderung. Pflegebedürftige und Menschen mit Demenz sind bei uns im Fokus.

„Unsere Zeit ist geprägt von Effizienz und Schnelligkeit; das birgt die Tendenz in sich, sich über die Bedürfnisse alter Menschen hinwegzusetzen“, schreibt der Mediziner Giovanni di Maio. „Der alte Mensch steht quer zu unserer Zeit, weil er zum Innehalten auffordert.“

„Lasst uns über Einsamkeit sprechen“, heißt eine Kampagne in England. Darüber sprechen, dass wir andere Menschen brauchen – das ist nicht leicht. Wo Selbstbestimmung ganz oben steht, wirkt Angewiesensein wie Schwäche.

Nachbarschaften, Vereine und gerade auch Kirchengemeinden könnten da einen Gegentrend setzen – wie kleine Ministerien gegen Einsamkeit. Freundeskreise und Nachbarschaften können Sorgende Gemeinschaften sein, wo eine der anderen über den Tag hilft. Und Gemeinden können Mut machen, darüber zu reden, dass wir einander brauchen. Der Glaube daran, dass wir alle auf Gottes Gnade angewiesen sind… Er sagt auch: letztlich kommt keiner ganz allein zurecht.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

13.06.2019
Cornelia Coenen-Marx