Hiob in Ahrweiler

Morgenandacht

epd-bild/Frank Schultze

Hiob in Ahrweiler
27.09.2021 - 06:35
15.09.2021
Heidrun Dörken
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Hiob heißt der Mann, von dem in der Bibel gesagt wird: Er war ein rechtschaffener, ein gläubiger Mensch, der fast alles verloren hat. In Naturkatastrophen und durch Gewalt. Seine Kinder, seine Gesundheit, sein Dach über dem Kopf. Alles, was er hatte, war weg.

Darüber war Hiob verstummt, lange verstummt. Gegenüber seinen Freunden, die ihm beistehen wollten. Aber auch gegenüber Gott.

Bei der Flutkatastrophe in Deutschland im Juli sagte der Pfarrer von Bad Neuenahr-Ahrweiler: Ich finde momentan keine Worte für ein Gebet. Was ich sonst gebetet habe, passt nicht.1 Dafür wurde er auch kritisiert. Einige sagten: Beten kann man immer, besonders in der Not. Gerade ein Pfarrer sollte das können.

 

Ich widerspreche: Nein, beten kann man nicht immer. Jedenfalls nicht so wie gewohnt.

Dieser Pfarrer, der offen bekannt hat, dass ihm die Worte fürs Gebet fehlen, half von frühmorgens bis nachts in der Einsatzzentrale des Roten Kreuzes. Hunderten Menschen hat er beigestanden. Die vor ihm standen: Nass, nur mit einer Tüte in der Hand oder mit ganz leeren Händen. Viele suchten verzweifelt nach vermissten Eltern, Partnern oder Kindern. In diese Situation hinein sagte der Pfarrer: Da gab es für Gottesdienst und Gebet weder Zeit noch Kraft noch Worte.

 

Hiob war der Mann, von dem die Bibel erzählt, dass er alles verloren hatte. Hiob hat irgendwann wieder Worte gefunden. Aber keine schönen. Er schleuderte Gott seinen Zorn entgegen über die Ungerechtigkeit, seine Trauer, seine Wut. Hiob rechnet mit Gott ab. Im Namen aller ungerecht in Not Geratenen. Er wirft Gott vor, dass er großes Leid nicht verhindert. Auch nicht bei anständigen, gläubigen, sozialen Menschen. Hiob wütet und klagt gegen Gott.

 

Besonders vernünftig scheint das nicht. Wer kämpft gern gegen einen übermächtigen Feind, gegen Gott, gegen die Folgen einer Katastrophe, gegen eine tödliche Krankheit? Die Vernunft sagt: Es ist besser, so etwas Sinnloses zu lassen.

 

Aber eins bleibt Hiob erspart: Resignieren. Resignieren gibt es nämlich auch in religiöser Form. Wenn jemand allzu schnell zu wissen meint: So ein Unglück ist doch Gottes Wille. Doch Gottes Wille ist oft verborgen. Auch gläubigen Menschen. Manche, die so resignieren, werden mutlos und einsam.

 

Damit ein Mensch nicht allein bleibt in der Not, braucht es schonungsloses Aussprechen. Braucht es Protest. Und die Erlaubnis, im ersten Moment keine Worte zu finden für das Gespräch mit Gott, für das Gebet.

Von Hiob erzählt die Bibel noch mehr. Nach seinem Schweigen und nach seinem Zorn hat er offenbar Gott anders erfahren. Vielleicht, weil er vor Gott alles sagen konnte. So, wie er war, wütend und traurig. Es wird erzählt, Hiob hat Gott als seinen Fürsprecher erfahren, mitten in den bittersten Erfahrungen. Von Hiob ist der Satz überliefert: „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt.“ So, wie ich bin, werde ich mit Gott in Kontakt sein. (Hiob 19, 25 ff.)

Der Pfarrer von Ahrweiler hat inzwischen darüber gesprochen, wie es ihm mit dem Gebet ergangen ist - einige Wochen nach der Flutkatastrophe.2 Er sagte: „Dass es Gott gibt, daran hatte ich keine Zweifel. Doch wie ich mit ihm in Verbindung treten kann, das war weg - wie unsere Häuser und unsere Straßen.“ Im Moment, sagte er, waren für ihn die vielen Helfer vor Ort wie ein Gebet ohne Worte. So, wie auch die Menge Menschen, die etwas spenden, Leute, die zupacken. Und er hat noch etwas gesagt: Es hat ihm gutgetan, dass andere für ihn und alle Betroffenen gebetet haben. Wenn einem selbst Worte fehlen: Es gibt Menschen, die beten für mich, wenn ich es nicht kann.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

 

 

[1] https://www.domradio.de/themen/soziales/2021-07-25/der-zusammenhalt-ist-das-hellste-licht-pfarrer-aus-ahrweiler-findet-momentan-keine-worte-fuer-das

 

2 Äußerungen von Pfarrer Jörg Meyrer im Video-Podcast seiner Pfarrgemeinde am 15.8.2021 https://www.laurentius-aw.de/

 

15.09.2021
Heidrun Dörken