Ich glaube

Morgenandacht

Gemeinfrei via unsplash/ Alex Motoc

Ich glaube
04.01.2022 - 06:35
31.12.2021
Florian Ihsen
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Ich glaube, ich war so zehn Jahre alt, in jedem Fall noch in der Grundschule, als ich zum ersten Mal diesen schwierigen Text auswendig lernen musste:

„Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen…“

 und so weiter. Und ich war als Konfirmand richtig stolz, dass ich es flüssig, fehlerfrei, schnell und laut aufsagen konnte:

„empfangen durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria, gelitten unter Pontius Pilatus…“ und so weiter.

Im Theologiestudium habe ich dann gelernt: die Aussagen des Glaubensbekenntnisses historisch und als Symbole zu verstehen. Alle Glaubensaussagen sind Symbole. Auch das Wort Gott ist ein Symbol: für das, was uns Menschen unbedingt angeht. Von Glaube und Religion sprechen heißt: „symbolisch“ sprechen. Im religiösen Symbol fallen zwei Dinge zusammen: die Sprachbedeutung und eine Wirklichkeit, die so leicht nicht zu erfassen ist. Im alten Kirchenlatein hat man das Glaubensbekenntnis tatsächlich „symbolum“ genannt.

Wichtig geworden ist mir am Glaubensbekenntnis ein Wort, das im deutschen sogar zweimal vorkommt: Das Wort „Ich“, mit dem der Text beginnt. Ich glaube an Gott. Das finde ich erstaunlich. In der Antike und im Mittelalter hat das „Ich“ keine große Rolle gespielt. Seine Wurzeln hat das „Ich“ des Glaubensbekenntnisses in der Taufe von Erwachsenen, auch heute noch: Wird jemand Christin oder Christ, dann wird er oder sie persönlich gefragt: Glaubst du an Gott, an Jesus Christus, an den Heiligen Geist? Und der Täufling antwortet jeweils mit: Ich glaube.

Es waren Martin Luther und die Reformation, später die Aufklärung und die Moderne, die dieses „Ich“ betont haben. Das Ich in der Religion genauso wie das Ich im Denken. Und so ist das „Ich“ heute selbstverständlich. Nicht „man“ oder „wir“ – ich lebe, ich denke, ich glaube. Vor Gott kann ich mich nicht in einem „Wir“ oder hinter einem „man“ verstecken.

Natürlich brauche ich auch das Wir und das Ich der anderen, der Vorfahren und der Geschwister in der Kirche und in anderen Kirchen. Aber vor Gott bin ich ich. Das mutet einem ziemlich viel zu und macht manchmal ganz schön einsam.

Also wie ist das? Wie glaube und denke ich, was da im Glaubensbekenntnis gesagt wird? Kommen das persönliche Ich und die Symbolsprache des Glaubensbekenntnisses zusammen? Wer sich so oder ähnlich fragt, ist in bester Gesellschaft. Auch Theologinnen und Pfarrer haben mit den Formulierungen des Glaubensbekenntnisses ihre Schwierigkeiten. Eine Kollegin sagt statt „Jungfrau“, die „junge Frau“ Maria. Ein ökumenisch offener katholischer Priester sagt statt katholischer Kirche „allumfassende Kirche“ –  denn das heißt „katholisch“ ins Deutsche übersetzt. Und ich würde am liebsten „Gemeinschaft am Heiligen“ statt „Gemeinschaft der Heiligen“ sagen. Denn ich denke, hier sind nicht so sehr heilige Menschen, sondern das Heilige gemeint, die Sakramente, besonders das heilige Abendmahl.

Für Protestanten gibt es eine produktive Spannung zwischen dem überlieferten Glaubensbekenntnis und dem persönlichen Glauben. Ohne den überlieferten Glauben könnte ich nicht glauben. Und ohne mich wäre der überlieferte Glaube nicht lebendig.

In dieser Spannung zwischen Überlieferung und eigenem Glauben bleibe ich ein Leben lang. Das Ich ist eine offene Größe. Offen für neue Einsichten. „Ich“ setze mich mit Religion und Glauben heute anders auseinander als damals in meiner Konfirmandenzeit. Und sicher wieder anders, wenn ich älter bin. Mein Ich ist eine Größe, die sich wandelt, von Jahr zu Jahr. Und ich bin gespannt, wie sich mein Ich im neuen Jahr verändern wird. Und damit auch, wie sich mein Glaube verändern und entwickeln wird, wenn ich sage „Ich glaube an Gott“.

 

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

31.12.2021
Florian Ihsen