Im Rhythmus der Zeit

Morgenandacht

Gemeinfrei via pixabay/ ValeriaLu

Im Rhythmus der Zeit
28.10.2021 - 06:35
15.09.2021
Cornelia Coenen-Marx
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Die Sendung zum Nachlesen: 

Melancholie liegt in der Luft. Das bunte Laub ist gefallen, Äste ragen kahl in den Himmel. Allmählich ziehen die Nebel auf, die goldenen Herbstfarben verschwinden, es heißt Abschied nehmen von Licht und Wärme. Früher begann der Winter für die bäuerliche Bevölkerung im Oktober, am Gallustag, dem 16. Oktober. Zwei Wochen später, wenn die Ernte  eingefahren ist, folgt das Totengedenken. Die Grenze zwischen Himmel und Erde sei in diesen Tagen besonders durchlässig, meinten die Kelten. Und feierten All hallows eve. Allerheiligen und Allerseelen erinnern bis heute an die Vergänglichkeit des Lebens.

 

Das spirituelle Jahr und der Rhythmus der Natur, sie sind seit Jahrhunderten eng miteinander verbunden. Zu meinen kleinen Schätzen gehört ein Buch über den Jahreskreis, das davon erzählt – vom Umgang mit dem Wachsen, Blühen und Früchte tragen, von alten Bräuchen und Bauernregeln und auch von religiösen Traditionen. Schließlich lehnt sich das christliche Kirchenjahr eng an die Jahreszeiten an und fußt oft genug in antiken oder keltischen Festen – von Ostern angefangen bis Weihnachten, von Michaelis bis Mariä Lichtmess.  Mein Buch erzählt auch von den Früchten der jeweiligen Jahreszeit. Die Natur hält die passenden Heilmittel bereit, auch gegen die Melancholie dieser Zeit, meint die Autorin, Martina Kaiser. So kann man im Oktober Hagebutten finden – mit ihren Vitaminen ein gutes Mittel gegen Erkältungen.

 

Was wird aus all dem, wenn sich die Natur mit dem Klimawandel verändert?  Wie werden unsere Weihnachtsbäume aussehen, wenn die Nadelwälder absterben? Werden wir die Lieder vom Schnee noch lange singen?

 

„Hält der Oktober das Laub, wirbelt zu Weihnachten Staub“, hieß es in einer alten Bauernregel, aber: „Schneits im Oktober gleich, dann wird der Winter weich.“ Nein, in Deutschland gab es nicht immer Schnee im Winter – aber es war keine verrückte Idee, darauf zu warten. Es gab einen Frühling, in dem die Pflanzen nach und nach zu blühen begannen und die Frostnächte seltener wurden – und nicht so ein plötzliches Kippen in den Sommer. „Die Bauernregeln über das Wetter haben nie ganz gestimmt. Aber  heute sind sie außer Kraft gesetzt, weil das Klima aufgehört hat, verlässlich zu sein“, stellt die Philosophin Eva von Redecker fest. Die Sommer sind zu trocken, die Winter zu warm. Der Rahmen unserer Erfahrung ist gesprengt, die alten Kreisläufe kommen ins Schlingern wie der Jetstream, der unser Wetter beeinflusst. Das wird unser Weltbild verändern. Was hält uns jetzt, woran halten wir uns?

 

Vor einigen Jahren war ich kurz vor Weihnachten in Rio Grande do Sul, in Brasilien. Dort gab es überall Weihnachtsbäume zu kaufen – aber auch Elche und Weihnachtsmänner im dicken roten Mantel mit Schnee an der Mütze. Nur ist in Brasilien in dieser Zeit Sommer und es war heiß. Die Art, wie dort Weihnachten gefeiert wird, war importiert. Alte Bräuche  aus Europa. Mit der Geburt Jesu im Nahen Osten hatte das nichts zu tun. Damals habe ich meinen Großvater verstanden. Ich komme nämlich aus einer Tradition, in der die Bräuche des Kirchenjahrs  keine große Rolle spielten. In der Gemeinde meines Großvaters gab es keinen Weihnachtsbaum,  keine schwarzen Tücher am Karfreitag und keine Rückkehr der Glocken in der Osternacht. Er selbst war ein nüchterner Mensch mit einem vernünftigen Glauben. Für ihn stand die Bibel im Mittelpunkt.  Sein Leitvers ging über die Zeiten hinaus: „Jesus Christus bleibt derselbe  - gestern und heute und in Ewigkeit“.

 

Jetzt  denke ich an diesen Jesus, wie er seinen Freunden die Lilien auf dem Feld und die Vögel unter dem Himmel zeigt und vom Vertrauen spricht. Er erzählt von dem Bauern, der seine Erträge immer weiter steigern wollte und immer größere Scheunen baute – nur mit dem eigenen Tod hatte er nicht gerechnet. Wie die Gier den Menschen und die Erde zerstört; das erfahren wir gerade  in großem Maßstab.

 

Wie sieht die Welt aus, wenn wir sie pflegen, statt zu beherrschen? Und teilen, statt zu verwerten? Regenerieren, statt zu erschöpfen und retten, statt zu zerstören? Alles, was wir brauchen, ist ja längst da.  Das kann ich entdecken, wenn ich von Jesus lese. Auch ohne die schönen alten Rituale – einfach pur.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

15.09.2021
Cornelia Coenen-Marx