Influencer

Morgenandacht
Influencer
30.09.2019 - 06:35
18.07.2019
Angelika Obert
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‚Influencer müssen immer gut aussehen. Sie dürfen sich nicht mit Tomatensauce bekleckern, wenn sie Spaghetti essen. Dürfen auch sonst nicht herumferkeln. Also: Sei ein Follower!‘

So ungefähr, bloß in Englisch, steht es auf den Schaufenstern eines Jeans-Geschäfts, an dem ich oft vorbeikomme. Und jedes Mal ärgert es mich ein bisschen, auch wenn ich weiß: Es ist so ernst nicht gemeint.

Be a follower! Ist das nicht ein blöder Imperativ, der mich dazu auffordert, Mitläuferin zu sein, Herdenvieh? Da sitze ich dann mit meinen Spaghetti und starre auf die Videos der Influencer, die ihr Leben in den sozialen Medien inszenieren. Nebenbei Werbung für irgendwelche Produkte machen oder vielleicht Meinungen unter die Leute bringen, auch das nicht selten gegen Geld und im Auftrag.

Influencer: Ich muss bei dem Wort ja immer noch an Grippe denken und so etwas wie eine Epidemie scheint es ja auch zu sein. Einfluss nehmen in den sozialen Medien auf Kaufentscheidungen, Lebensstile, Meinungen. Viel Lebenszeit damit verbringen, sich selbst in Szene zu setzen, dieser Sport hat sich ganz schön verbreitet. Und mit ihm natürlich die Aufforderung: Be a follower! Lauf hinterher!

Unter Influencern möchte ich mir doch lieber Leute vorstellen, die Mut machen zum Selber-Denken. Richtige Influencer waren für mich die Menschen, die vor 30 Jahren die friedliche Revolution angeschoben haben, als sie die Bürgerbewegungen gründeten: das Neue Forum und Demokratie jetzt. Frauen und Männer, die sich lange schon gegen die allgegenwärtige Angst in der DDR gestemmt hatten, die in Friedens- und Umweltgruppen über Alternativen nachdachten – oft unter dem Dach der Kirche. Die dann im September 1989 den Mut hatten zu sagen: Jetzt ist es Zeit, an die Öffentlichkeit zu gehen. Da war die SED ja noch an der Macht. Es war noch nicht entschieden, was passiert, wenn man seinen Namen unter ein Papier setzt, das zum Wandel in der DDR aufruft. Dafür musste man schon was aufs Spiel setzen. Aber das wirkte dann ja auch ansteckend. Ganz schnell wurden es immer mehr, die keine Angst mehr hatten, auch öffentlich offen zu reden und an den großen Demonstrationen teilzunehmen. Ja, so stelle ich mir Influencer vor – als Menschen, die Mut machen, weil sie Mut haben.

Und visionäre Ziele hatten sie auch. In den kirchlichen Kreisen waren sie damals abgesteckt mit drei großen Worten: Frieden, Gerechtigkeit, Bewahrung der Schöpfung. Das konnte einem schon manchmal auf die Nerven gehen, wie diese drei Worte dann auch zu allumfassenden Schlagworten wurden. Nur im Nachhinein denke ich: Sie waren doch auch eine Art Kompass, der half, den konkreten Zielen die richtige Richtung zu geben. Ein Kompass, der in den letzten Jahren für mein Gefühl deutlich an Kraft verloren hat.

Nun ist nicht immer Aufbruchszeit wie vor 30 Jahren. Aber es gibt mir zu denken und ich finde es unheimlich, wie sich das Einfluss nehmen auf die sozialen Medien verlagert und vor allem mit Reklame zu tun hat. Wie es zu einem mehr oder weniger einsamen Spiel vor der Kamera geworden ist. Das braucht meistens keinen Mut und macht auch keinen. Brauchen wir denn keine Mutmacher mehr? Keine Leute, die sich von großen Zielen leiten lassen? Die sich nicht anstecken lassen von den Ängsten, die sich ja auch heute wieder mächtig breit machen? Werden diese Leute denn nicht immer gebraucht? Propheten nannte man solche Influencer zu biblischer Zeit: „Gott hat mir eine Zunge gegeben wie den Lernenden, damit ich es verstehe, die Müden mit einem Wort zu stärken.“ So hat einer von ihnen, Jesaja, seinen Job beschrieben. Und wenn ich auch keine Prophetin bin, frag ich mich doch: Wozu benutze ich meine Stimme? Bin ich im alltäglichen Gespräch ein Follower auf der Bahn der Ängste? Eine Mitmeckerin? Oder kann ich den kleinen Einfluss, den Gott mir mit meiner Stimme gegeben hat, nicht doch alle Tage nutzen, die Müden zu stärken? Eine Mutmacherin zu sein?

 

Es gilt das gesprochene Wort.

18.07.2019
Angelika Obert