Kann Gott sich selbst sehen?

Morgenandacht
Kann Gott sich selbst sehen?
über Trinität
15.10.2019 - 06:35
18.07.2019
Anja Neu-Illg
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„Mamaaa?“ „Mh, schlaf jetzt.“ „Du Mama, aber ich hab‘ noch eine Frage.“ Sie ist drei Jahre alt. Sie weiß, mit Fragen kriegt sie mich immer. Also: Noch nicht schlafen, eine Frage noch und die Antwort und dann schlafen. OK. „Du, Mama, Gott kann alles sehen, oder?“ „Mh, ja, kann er.“ „Auch wenn wir Bilder malen? Sieht Gott auch, wenn wir Bilder malen?“ „Mh, ja schon, ich denke schon.“ „Aber wir können Gott nicht sehen, oder?“ „Ja…, und jetzt schlaf.“ – „Aber: Kann Gott sich selbst sehen?“ „Muss ich drüber nachdenken. Wir reden morgen weiter.“

Kann Gott sich selbst sehen? Wie kommt meine kleine Tochter nur auf sowas? Vielleicht fragt sie sich, ob Gott wirklich jemand ist. Bei uns zu Hause wird von Gott wie von einer freundlichen Person gesprochen. Es wird sogar mit ihm geredet, ohne, dass er offensichtlich da wäre. Das wirft natürlich Fragen auf, z.B., ob er denn nicht mal zu Besuch kommen möchte. Die anderen netten Leute in unserem Leben kommen schließlich auch hin und wieder zu Besuch, manche übernachten sogar bei uns.

Kann Gott sich selbst sehen? Also: Ist er überhaupt irgendwie sichtbar? Ist er eine Person? Dass zu Gott Beziehung möglich ist, das sieht unsere Dreijährige ja und es lässt wohl vermuten, dass er eine Person ist. Aber kann das überhaupt sein, wenn man ihn nicht sieht? Als Menschen sind wir für andere und für uns selbst sichtbar. Das verstehen wir ja unter Person-Sein. Wir können in den Spiegel sehen und da sehen wir uns. Naja, was sehen wir schon im Spiegel, was erkennen wir? Die äußere Hülle. Die Fragen, die uns unser eigenes Gesicht aufwirft.

„Jetzt schauen wir in einen Spiegel und sehen nur rätselhafte Umrisse, dann aber schauen wir von Angesicht zu Angesicht.“ (1. Korinther 13,12; Einheitsübersetzung 2016)

So stellt die Bibel im ersten Korintherbrief in Aussicht, dass Gott ein An-Gesicht hat und dieses nur jetzt verborgen ist, dann aber nicht mehr. Dann, schreibt Paulus weiter, werde ich erkennen, wie auch ich erkannt worden bin.

Kann Gott sich selbst sehen? Die Frage ist vielleicht kindlich, aber auf keinen Fall kindisch.
Ich denke an eine Darstellung der heiligen Dreieinigkeit in einer Ikone von Andrei Roubljow aus dem 15. Jahrhundert. Hier sieht Gott sich selbst, ohne dafür in irgendeinen Spiegel sehen zu müssen. Denn er sitzt sich selbst in Gestalt von zwei anderen gegenüber. Drei Gestalten, mit Flügeln wie Engel. Dafür, dass es Vater, Sohn und Heiliger Geist sein sollen, wirken die drei recht weiblich. Sie sitzen um einen Tisch mit einer gefüllten Schale darauf. Da der Tisch vier Seiten hat, Gott aber nur zu dritt ist, ist die vierte Seite zum Betrachter hin offen. Jede einzelne Person an diesem Tisch vollbringt das Kunststück, sowohl die beiden anderen im Blick zu behalten, also auch den Betrachter des Bildes anzuschauen. Als wollten sie alle drei sagen: Komm. Hier ist noch Platz bei uns. Die Dreieinigkeit speist nicht gern allein.

Was braucht es, um an diesem Tisch Platz zu nehmen? Müssen wir da erst verstehen, dass der Vater nicht der Sohn, der Sohn nicht der Geist und der Geist nicht der Vater ist und doch alle drei der eine Gott? Wenn wir mehr verstehen würden von dem Geheimnis der Trinität, die Trinitatiszeit, die Zeit von Pfingsten bis Totensonntag, wäre uns eine heilige Zeit. Wir würden dreiblättrige Kleeblätter in Sträußen auf unsere Tische stellen, wir würden drei Kerzen zusammen ins Fenster stellen, wir würden an den Sonntagen Hasen mit drei Ohren backen, nur um uns daran zu erinnern, dass Gott in sich selbst Beziehung ist und uns in diese Beziehung einlädt.

Kann Gott sich nun selbst sehen? Ich denke schon, aber er ist sich selbst nicht genug. Die Beziehung, die Gott mit sich selbst hat, ist offen zum Menschen hin. Er lädt ein an seinen Tisch. Er sieht uns. Auch dann, wenn wir ein Bild von ihm malen.


 

Es gilt das gesprochene Wort.

18.07.2019
Anja Neu-Illg