Liebesbeweis

Morgenandacht
Liebesbeweis
13.11.2017 - 06:35
08.11.2017
Pfarrer Martin Vorländer
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Was ist Liebe? Dazu sagt die Bibel viel, ebenso die Poesie und die Musik. In einem deutschen Popsong singt Johannes Strate von der Band Revolverheld: „Ich lass für dich das Licht an, obwohl's mir zu hell ist. Ich schaue mir Bands an, die ich nicht mag. Ich geh mit dir in die schlimmsten Schnulzen. Ist mir alles egal, Hauptsache du bist da.“

 

Ich mag das Lied. Ich frage mich dabei aber immer: Ist das jetzt der ultimative Liebesbeweis oder gibt der Typ sich selbst völlig auf? Mit dem anderen die Jacke teilen. Für den anderen zum Kiosk rennen ob Nacht oder Tag – ja, das ist romantisch. Aber aus Liebe meine Lieblingsplatten verbrennen, Bands hören, die ich nicht mag, und die schlimmsten Schnulzen schauen? Da geht einer schon ganz schön weit.

 

In der Bibel steht: „Die Liebe erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles.“ Hartes Programm! Das fällt ja schon am frühen Morgen schwer, wenn der andere seine Kleider mal wieder in der ganzen Wohnung verteilt hat. Heißt lieben, alles hinnehmen und ertragen, ohne Murren und Knurren?

 

Natürlich nicht. Es gibt einen Unterschied zwischen sich hingeben und sich aufgeben. In der Bibel bedeutet lieben: Ich rechne nicht auf – das habe ich für dich getan, das hast du für mich getan. Sondern ich tue es einfach für dich, weil ich dich liebe. In den großen romantischen Momenten ist das einfach, wenn man zusammen die Nacht durchgefeiert hat und sich auf dem Nachhause-Weg eine Jacke teilt. Schwieriger wird’s im Alltag, wenn man sich über die Haare des anderen im Waschbecken aufregt.

 

Erst recht schwierig wird es, wenn es um mehr geht als Haare im Waschbecken oder die offen gelassene Zahnpasta-Tube. Wenn ich feststelle, dass der andere mich belügt. Wenn er mein Vertrauen missbraucht und mich betrügt. Gilt dann noch der Satz aus der Bibel: „Die Liebe erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles“?

 

Das wurde auch schon mal so missverstanden, als dürfe man sich nicht wehren oder streiten. Eine Frau sagt stolz: „In 40 Jahren haben wir uns noch nie gestritten. Es fiel nicht ein einziges böses Wort.“ Ich bin da ehrlich gesagt misstrauisch und frage mich: Haben die beiden überhaupt miteinander geredet? Die Liebe duldet alles – wenn man das so versteht, dass man jeden Ärger herunterschluckt und still leidet, dann ist die Gefahr groß, dass die Liebe erstarrt und die beiden sich gegenseitig anschweigen, sich gar nicht mehr erzählen, was sie freut und was sie kränkt.

 

Was heißt dann positiv: Die Liebe duldet alles? In der Bibel ist hier zuerst Gottes Liebe gemeint. Denn alles dulden, das kann kein Mensch. Meine Kräfte sind begrenzt, auch meine Kraft zu lieben. Aber es hilft mir, in meiner Liebesbeziehung darauf zu achten: Es gibt noch eine größere Kraft, die zwischen uns beiden wirkt. Es hängt nicht allein von mir oder dem anderen ab, ob unsere Ehe gelingt. Glücksgarantien gibt es nicht, auch nicht in der Liebe. Aber auf Gott in der Liebe vertrauen, das entlastet und hilft mir, mein Verhalten in einem anderen Licht zu sehen und zu ändern, wenn es nötig ist.

 

Die Liebe duldet alles. Ich nehme das als Gedankenanstoß, wenn ich mich am Morgen über die Eigenarten des liebsten Menschen aufrege. Die Haare im Waschbecken zum Beispiel. Lohnt es sich, dafür einen Streit anzufangen? Ja, es gibt eben Momente, da ist die Liebe in Gefahr. Da nerven die zurückgelassenen Haare, weil sie ja auch ein Zeichen sind, dass der andere zu wenig Rücksicht auf mich nimmt. So fühlt sich das zumindest an. Dann lohnt sich eine Auseinandersetzung, weil ich so mein Gegenüber ernstnehme und damit Liebe und Wertschätzung ausdrücke. Erst recht, wenn noch mehr zu klären ist. Dulden heißt dann, den anderen als Mensch zu dulden und zu achten, aber nicht ein rücksichtsloses Verhalten. Dulden und lieben heißt dann, dass ich mit dem anderen das klären will, was nicht geduldet werden kann, wenn wir glücklich zusammenleben wollen. Wie heißt es in dem Song? „Hauptsache, du bist da!“ Ja, das ist die Hauptsache. Und gerade deshalb lohnt es sich.

08.11.2017
Pfarrer Martin Vorländer