Ringen um die Wahrheit – Annette Kurschus

Morgenandacht
Ringen um die Wahrheit – Annette Kurschus
01.09.2020 - 06:35
31.08.2020
Titus Reinmuth
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Autor: Selten zuvor gab es so viel Streit um die Wahrheit. Ein Virus und die Maskenpflicht, der Klimawandel und die Folgen, die Flüchtlinge und wie wir das schaffen. Fragen über Fragen. Ich will wissen, wie Menschen da zusammenfinden, wie sie sich damit am besten auseinandersetzen können:

O-Ton 1: Offenbar muss die Wahrheit nicht zwingend etwas mit den Fakten der Realität zu tun haben, sondern jeder macht sich seine Wahrheit.

Autor: ... beklagt Annette Kurschus, Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen und stellvertretende Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland.

O-Ton 2: Wahrheit hat ganz viel mit Voreinstellung, mit Haltung, mit Vorurteilen auch zu tun, mit Emotionen vor allen Dingen. Das erleben wir ja gerade und das halte ich schon auch für sehr besorgniserregend.

Autor: Die Evangelische Kirche hat sich immer als ein Forum verstanden, das Menschen zusammenführt und das ein Ringen um die Wahrheit fördert. Ganz gleich ob bei einem Diskussionsabend in der Kirchengemeinde oder auf einem großen Podium beim Deutschen Evangelischen Kirchentag. Soll sie eigentlich nur Forum sein oder auch eine eigene Position beziehen? Präses Annette Kurschus:

O-Ton 3: Ich würde das gerne (...) verbinden: Menschen mit unterschiedlichen Ansichten miteinander ins Gespräch bringen und mich selber mit meiner Sicht an diesem Gespräch beteiligen, das beinhaltet für mich, ja fordert für mich geradezu, dass ich selber mich zu einer bestimmten Wahrheit bekenne.

Autor: Es gibt ja eine Reihe von Themen, bei denen die Evangelische Kirche sich für unbequeme Wahrheiten stark gemacht hat, zum Beispiel in Fragen der Flüchtlingspolitik...

O-Ton 4: ... auch aus den Gründen der Wahrheit heraus, der wir anhängen, nämlich dass Christus uns nun mit den Menschen unterschiedlichster Art auf dem ganzen Globus vereint, und dass wir grundsätzlich erstmal die Arme aufzuhalten haben für die Menschen, die in Not sind, und für die Menschen, die jemanden brauchen, der ihnen hilft, unabhängig von der Frage, woher sie kommen, welcher Religion sie sind, und ob wir jetzt gerade das Vermögen haben, das bis ins letzte abzusehen, was das für uns bedeutet. Da sind wir ja deutlich auch gewesen und haben gesagt: Als erstes muss das Signal sein, wir helfen und wir machen unsere Türen auf.

Autor: Eine Position, die nicht nur auf Gegenliebe gestoßen ist. Einander zuhören, sich auseinandersetzen, ringen um das, was richtig ist. Einfach ist das nicht, auch nicht in der Evangelischen Kirche. Wenn jeder seine eigene Wahrheit hat, gibt es dann auch Grenzen für das Gespräch? Annette Kurschus hat hier eine klare Haltung, nämlich...

O-Ton 5: ... dass für mich eine rote Linie da deutlich gezogen ist, wo keine Achtung mehr im Spiel ist vor dem anderen, wo kein Respekt mehr vor der Meinung des anderen besteht, wo die Würde anderer Menschen verletzt wird. Da halte ich es mit Dietrich Bonhoeffer, der ja gesagt hat, also die Wahrheitsfrage hängt ganz eng auch mit der Liebe zusammen und mit der ganzen Situation, in der Wahrheit kommuniziert wird.

Autor: Und diese Haltung hat viel zu tun mit der großen Erzählung, dem Narrativ, den wir als Christen in diese Welt tragen:

O-Ton 6: Das ist grundsätzlich ein Narrativ der Hoffnung und ein Narrativ der Verheißung Wir glauben an den, der diese Welt ins Leben rief – und seine Verheißung steht: Ich will, dass es gut weitergeht und gut ausgeht.

Autor: Das ist es, was Christinnen und Christen immer wieder neu motiviert, teilzunehmen an allem gesellschaftlichen Ringen und an politischen Diskussionen. Präses Annette Kurschus formuliert das so:

O-Ton 7: ... nicht locker zu lassen in dem Bemühen, für eine gute Zukunft einzutreten, für eine gute Gegenwart zunächst mal zu kämpfen, mich einzusetzen, dass Menschen geachtet werden, dass mit Leben sorgsam umgegangen wird, dass Menschen getröstet werden, die Trost brauchen, und dass Menschen auch in die Schranken gewiesen werden, ... die anderen Menschen mit Hass und mit Verachtung begegnen. Dieser Narrativ gibt eine grundpositive Richtung vor, und das ist es, was wir als Christen in diese Welt zu tragen haben.

31.08.2020
Titus Reinmuth