Bauten des Lebens

Morgenandacht
Bauten des Lebens
01.10.2020 - 06:35
24.09.2020
Lucie Panzer
Sendung zum Nachhören
Sendung zum Nachlesen

Ich wohne gern in München, denn ich bin ein Großstadtmensch. Bürogebäude, Wohnhäuser, Geschäfte und Cafés. Plätze, ein Park, eine Kirche, alles dicht an dicht. Leute sind unterwegs, mit dem Fahrrad, zu Fuß, mit der U-Bahn. In der Stadt ist immer was los. Und vor allem auch: Irgendwas wird immer gerade umgebaut. Da wird ein U-Bahn-Tunnel saniert. Und da drüben wird ein Platz begrünt. Diese Straße ist gerade nur einspurig befahrbar. Bei den Domkirchen steht gefühlt immer ein Gerüst.

Städte sind Dauerbaustellen. Damit sind sie ein Bild für das Leben, das auch eine Dauerbaustelle ist. Ständig ist was los. Ständig sind Menschen in Bewegung, planen Neues, renovieren, reißen ab, bauen um…

Ihr seid Gottes Bau, schreibt Paulus an die Stadtgemeinde Korinth. Ihr seid wie eine Stadt: ständig in Veränderung. Irgendwo ist immer gerade Baustelle.  

An einer Großstadt arbeiten und bauen viele über einen langen Zeitraum. Sie hat vor uns bestanden. Und sie wird nach uns bestehen. Und heute sind wir dran mit Planen, Verändern, Renovieren, Umbauen, Abreißen.

Das Leben als Stadt - mir gefällt dieses Bild. Was zu einer Stadt gehört – Wohnungen, Büros, Cafés, Spielplätze -  ist Symbol für mein persönliches Leben, für meine Lebenssehnsucht. Ich will mich zuhause, geborgen fühlen. Ich möchte eine Aufgabe, die mich erfüllt. Ich brauche andere Menschen aus allen Generationen zum Austausch. Auch Kirchen gehören zu einer Stadt – auch meine Spiritualität braucht einen Platz. Und das alles auf kurzen Wegen, schnell erreichbar. Wie schön, wenn das so ist.

Dass eine Großstadt ihren Betrieb so herunterfährt wie im Lockdown dieses Jahr, das war für mich ebenso faszinierend wie erschreckend. Schulen, Lokale, Geschäfte, Ämter, Museen, Kirchen – alles geschlossen. Eine wirkliche Krise. Äußerlich - und auch innerlich. Was wie selbstverständlich immer funktioniert hat – auf einmal ist alles still, heruntergefahren.

Für das, was heute Krise heißt, hat Paulus ein besonderes Sprachsymbol: Tag des Gerichts. Am Tag des Gerichts, also in der Krise, wird deutlich, wie haltbar, wie tragfähig die Bauten meiner Lebensstadt sind. Wie robust sind die Gesellschaft, die Kirche, die Familie? Paulus vergleicht die Krise mit einem Feuer, einer Flamme, die an die Fundamente gehalten wird. Woraus hast du dein Leben aufgebaut, fragt Paulus. Was ist aus guten Steinen, und was ist aus Holz oder Stroh gebaut?

In meinem Freundeskreis, auch bei mir selbst habe ich gemerkt: Die Krise macht sensibel. Und im Corona-Feuer sortiert sich vieles im eigenen Leben.

Karl beendet mit einem Brief eine Freundschaft, die schon länger keine mehr war. Man hat sich auseinandergelebt und sich nichts mehr zu sagen. Angela beschließt, jetzt schwanger zu werden. Und weil sie immer noch keinen Partner hat, sucht sie nach anderen Wegen und wendet sich an ein Kinderwunschzentrum.

„So geht es nicht mehr weiter“, sagt Maren zu Thomas. „Ich will, dass wir eine Paartherapie machen“. Im Lockdown, im täglichen gemeinsamen Homeoffice, gab es nur Streit. Inzwischen haben sie eine Therapeutin und arbeiten an den Konflikten, die sie klären müssen.

Beate treibt gerade in diesem Jahr die Frage um: Was hält, was trägt dich in deinem Leben? Und sie beschließt: Ja, ich will wieder in die Kirche eintreten. Sie schickt der Pfarrerin eine Email und die beiden telefonieren lange.

Corona macht sensibel. Äußerlich im Schutz gegen den Virus - im Wahrnehmen der Verantwortung für mich selbst und für andere. Aber auch innerlich: Was trägt mich? Was soll und was muss ich ändern in meinem Leben?

Auch wenn sich vieles verändert: Das Fundament, auf dem ich die Straßen, Häuser und Plätze meines Lebens baue, bleibt verlässlich. „Einen anderen Grund kann niemand legen außer dem, der gelegt ist, (welcher ist) Jesus Christus“ (1. Kor 3,10). Und Jesus ist es, der sagt: „Fürchtet euch nicht!“ (Mt 28, 10).

24.09.2020
Lucie Panzer