Von der Freiheit

Morgenandacht
Von der Freiheit
17.08.2020 - 06:35
25.04.2019
Lucie Panzer
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„Ich lasse mir meine Freiheit nicht nehmen. Ich will tun und lassen, was ich will.“ Seit der erste Schrecken der Corona-Pandemie vorbei ist, hört man das oft. In Stuttgart, in Berlin und anderswo gab und gibt es große Demonstrationen gegen Maskenpflicht und Kontaktbeschränkungen. Die Protestierenden wollen ihre Freiheit verteidigen, die der Staat ihnen mit Verordnungen zur Hygiene und zum Maskentragen ein Stück weit nimmt. Und inzwischen, wo alles lockerer geworden ist, gibt es am Wochenende große Partys in den Grünanlagen und immer mehr Menschen sind ohne Maske unterwegs. Ich sehe nicht ein, warum das nötig ist, sagen sie. Ich kenne niemanden, der an Corona erkrankt ist. Ich will tun und lassen, was ich will.

 

Vor 500 Jahren hat Martin Luther etwas Ähnliches geschrieben. Im Sommer 1520 kam seine Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ unter die Leute. Bis heute ist das eine der Hauptschriften der Reformation. Was Luther damals geschrieben hat, verbreitete sich wie ein Lauffeuer: „Ein Christenmensch ist ein freier Herr aller Dinge und niemandem untertan“. Luther hat damals von der Freiheit im Glauben geredet. Wer auf Gott vertraut, der muss sich keinem Menschen unterwerfen. Gott hält sein Schicksal in der Hand und kein Mensch kann daran etwas ändern. Luther hatte das in der Bibel gelesen: „Nichts auf der Welt kann uns von Gottes Liebe trennen“ (Rö 8, 38f).

 

Dieser Glaube hat ihn stark und frei gemacht sogar gegen den Kaiser und den Papst aufzustehen und zu sagen: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders.“ Und ich lasse mir von keiner Autorität außer Gott und der Heiligen Schrift sagen, was ich zu glauben und für richtig zu halten habe. Daran orientiere ich mein Gewissen und handle entsprechend.

 

„Ein Christenmensch ist ein freier Herr aller Dinge“: Für Luther hieß das aber ganz und gar nicht: Ich kann tun und lassen, was ich will. Er hat in seiner Freiheitsschrift nämlich noch einen anderen Satz daneben gestellt: „Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.“ Freiheit hatte für Luther nämlich mit Verantwortung zu tun und mit Nächstenliebe. Freiheit ist nur möglich, wenn man Rücksicht nimmt auf die anderen. Freiheit ist nämlich immer auch die Freiheit der anderen. Sie funktioniert nur, wenn auch die anderen frei sein können. Freiheit ist deshalb nie nur die Freiheit der vermeintlich Starken, die keine Angst haben vor einem bestimmten Zeitgeist, vorm Rauchen, vor den Folgen von Alkohol, oder eben vor dem Coronavirus. Auch die haben ein Recht auf Freiheit ohne Angst, die sich vor dem Passivrauchen, den Alkoholexzessen, der Ansteckung mit dem Virus oder vor einem zweiten Lockdown fürchten. Denn alle haben ein Recht auf Freiheit, auch die vermeintlich Schwächeren. Deshalb gilt es, auf die Schwachen Rücksicht zu nehmen. Christen lernen das vom Apostel Paulus, der ermahnt hat: Wer stark ist, ist verpflichtet, die Schwächen von denen mitzutragen, die nicht so stark sind“ (Rö 15,1).

 

Christen tun, was dem Nächsten nützt. Christen tun, was das Zusammenleben besser und das Leben der anderen leichter macht. Dazu nutzen sie ihre Freiheit. Christen sind frei. Aber wenn es für andere wichtig und gut ist, dann sind sie bereit, ihre Freiheit einzuschränken. Denn meine Freiheit endet da, wo die des anderen anfängt. Wenn es für Alte und Kranke, wenn es für das Gesundheitssystem oder die Aufrechterhaltung von Schulbetrieb und Wirtschaft besser scheint: Dann bin ich bereit, Abstand zu halten und die Hände zu waschen und eine Maske zu benutzen.

 

Wer das nicht will: Nutzt der nicht eigensüchtig die Macht der Starken, die meinen, sie beträfe dieses Virus nicht? Der Philosoph und Soziologe Theodor W. Adorno[1] hat das „unverschämt“ genannt. Freiheit, die nicht an die Anderen denkt, ist irgendwo asozial, so hat er das wohl gemeint. So verstanden heißt Freiheit nicht, ich kann tun und lassen was ich will, sondern: ich bin frei das zu tun, was allen nützt. Ich bin überzeugt – Luther hätte dem zugestimmt.

 

[1] Theodor W. Adorno, Minima Moralia: „Bei manchen Menschen ist es schon eine Unverschämtheit, wenn sie ich sagen“

25.04.2019
Lucie Panzer