Engel und Priesterin

Morgenandacht
Engel und Priesterin
29.09.2020 - 06:35
24.09.2020
Lucie Panzer
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Philine schläft. Friedlich liegt sie in ihrem Kinderwagen. Ziemlich anstrengend ist der Tag heute für sie. Großeltern, Patin und Paten, und noch ein paar aus der Familie sind gekommen. Alle sind aufgeregt. Heute, zwei Tage vor ihrem ersten Geburtstag, wird Philine getauft. Mit mir als Pfarrer sind wir zu zehnt. Philines Taufspruch lautet: Gott hat seinen Engeln befohlen über dir, dass sie dich behüten. Und in meiner kurzen Ansprache sage ich: „Ihr Erwachsenen seid hier gemeint, ihr seid die Engel, die Botinnen und Boten Gottes für Philine! Damit Philine Gott kennen lernt und selbst zu einer Botin der Liebe Gottes wird.“

 

Wegen Corona halten wir Abstand. Kein Händeschütteln beim Gratulieren. Kein richtiges Handauflegen für die Eltern. Schließlich hält der Vater Philine über das Taufbecken. Ich setze meinen Mundschutz auf, strecke den Arm aus, gieße dreimal aus der Taufkanne Wasser über den Kopf und spreche: „Philine, ich taufe dich im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.“

 

Philine erschrickt über das Wasser, weint kurz, der Papa tröstet sie schnell, die Omas schauen bewegt und fotografieren mit ihren Handys. Ein Opa wischt sich eine Träne aus dem Auge. Wir setzen den Gottesdienst fort. Mit Fürbitten, Vaterunser, Segen. Und das Keyboard spielt am Schluss, was wir gerade nicht laut singen können, aber summen und im Herzen empfinden: Danke für diesen guten Morgen.

 

Eine Taufe in kleinem Rahmen, aber trotzdem: mit großer Bedeutung. „Was aus der Taufe gekrochen ist, kann sich rühmen, dass es schon zum Priester geweiht ist.“ So schrieb Martin Luther vor ziemlich genau 500 Jahren. Durch die Taufe wird man Christin und Christ. Und: Die Taufe ist eine Priesterweihe. Wer getauft ist, ist Priesterin und Priester, jemand, der oder die zu Gott unmittelbar ist; eine Person die zwischen Gott und anderen Menschen vermittelt. Priestertum aller Getauften, allgemeines Priestertum, so lautet der Fachbegriff in der Theologie.

 

Was einen Priester, eine Priesterin ausmacht, sagt mir Wesentliches auch über meinen Glauben. Zum einen: Ich habe einen unmittelbaren Draht zu Gott. Und zum anderen: Der Draht zu Gott braucht auch Vermittlung. Ich kann das anderen vermitteln, aber vor allem: Ich brauche jemanden, der mir diesen Draht zu Gott vermittelt, der mich auf der Suche nach Gott leitet und begleitet. „Vermittelte Unmittelbarkeit“, so hat das mal ein Theologe (Gunther Wenz) genannt. Ich brauche immer wieder jemanden, der oder die mir diese Unmittelbarkeit zu Gott vermittelt. Eine, die mir ein geistliches Wort sagt, das mich in meinem Leben trifft und weiter bringt. Einen, der mir Gottes Wort sagt. Die Kirche als geistliche Gemeinschaft, die mich in den Sakramenten erfahren lässt: Gott ist da. Niemand kann sich selbst taufen oder sich selbst das Abendmahl reichen. Dazu brauche ich andere, die mir vermitteln: Gott ist da für dich; Christus, für dich gegeben.  

 

Heute am 29. September steht im Kalender: Michaelistag. Tag aller Engel. Der Job eines Engels ist: Wege zeigen, beschützen, manchmal kämpfen. Und:  Musik machen – damit etwas von Gott spürbar wird. Engel heißt übersetzt Bote. Man kann auch sagen: Engel sind Erscheinungsweisen Gottes. Menschen, die mir aufgehen lassen: Gott ist da!

 

Die Boten Gottes in meinem Leben – die nenne ich Engel oder auch Priesterin, Priester. Egal, wie sie heißen: Wichtig ist, dass sie ihren Job gut machen: Dass sie mir Wege zu Gott zeigen. Dass sie mir vermitteln, dass ich unmittelbar vor oder mit Gott lebe. Und so kann ich meinen Weg selbst gehen. Das kann und darf mir niemand abnehmen.

 

„Gott hat seinen Engeln befohlen über dir, dass sie dich behüten.“ Als ich Pfarrer wurde, hat mir mein bester Freund genau diesen beliebten Taufspruch zugesprochen. Die Worte erinnern mich daran: Ein priesterlicher Mensch bin ich seit meiner Taufe. Und Engel, Boten, die mich auf Gott hinweisen, brauche ich heute als erwachsener Mann genau wie die kleine Philine.

24.09.2020
Lucie Panzer