Mit ganz wenig geht es gut

Morgenandacht
Mit ganz wenig geht es gut
06.03.2019 - 06:35
03.01.2019
Ulrike Greim
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Sie kommt, wenn sie gerufen wird, zum Aufräumen. Zum Entmisten. Und in was für Wohnungen sie kommt – Himmel hilf! Zugemüllt bis unters Dach. Die Entrümplerin!

 

Das ist eine Fernsehsendung. Und die erste Übung heißt: Sieh dir an, was du alles hast. Bei einer Tupperdosen-Sammlerin zum Beispiel lässt die Entrümplerin alle Dosen auf einen Haufen stapeln. Aus allen Zimmern. Selbst im Schlafzimmer und im Kinderzimmer unterm Bett liegt eine. Als alles auf einem Haufen liegt, mitten im Wohnzimmer, ist es unübersehbar. Wahnsinn! Da, erst da, geht es auch der Mutter auf, dass etwas nicht stimmt.

 

Die zweite Übung heißt: Alles, was ihr nicht ganz zwingend braucht, kommt raus. Ihr behaltet pro Nase einen Koffer mit Anziehsachen, die allernötigsten Utensilien für die Küche, die Möbel. Und alle zusammen zehn Sachen darüber hinaus, ein Spiel, die Malkreide, das Strickzeug. Sonst nichts. Auch keinen Fernseher, versteht sich. Alles andere kommt ins Lager. Ab jetzt quasi: Camping in der eigenen Wohnung. Sie packen die Kisten, dann kommen die Möbelwagen. Abends ist die Wohnung leer.

 

Und dann hält die Kamera erbarmungslos drauf, wenn die Familie auf sich gestellt ist. Unabgelenkt durch all den Krempel. Und wie schwer das ist. Wie es körperlich wehtut. Den Erwachsenen zumindest. Die Kinder tanzen im Wohnzimmer. Ist ja endlich Platz. Man kann auch mit einem Drehsessel super spielen. Und mit Stöckchen aus dem Garten. Und überhaupt: miteinander.

 

Doch die Eltern sind verwirrt. Phantomschmerz. Da tut etwas weh, was nicht mehr da ist.

Und alles kommt zum Vorschein: die übergroße Trauer der Frau, das stille Leiden des Mannes, die unterdrückte Kreativität der Kinder. Und als endlich die Tränen fließen, und sich die Eltern mal kurz in die Augen schauen und nach langer Zeit das erste Mal wieder in den Arm nehmen: so etwas wie Liebe.

 

Guck, was passiert, wenn du alles andere weglässt. Das ist die Idee des Fastens. Die Intention für die heute beginnende Fastenzeit. Sehen, was in mir ist, wenn ich den Ballast loslasse. Was sich versteckt, solange ich ihn behalte. Was frei wird, wenn ich es wage loszulassen. Das ist Fasten für die Seele.

 

Warum ist das in unserer Gesellschaft nicht selbstverständlich? Warum wirkt das Loslassen so unnatürlich, das Horten und Sammeln und Jagen dagegen als erklärtes Lebensziel? Klar, es steigert das Bruttoinlandsprodukt. Aber nicht das Glück. Im Film wirkt die Ansage „Lasst alles weg!“, so, als würde es heißen: „Amputier dein Bein!“. Sichtbar schmerzt es bis in die Magengrube. Es zeigt sich, welche fatale Denke dahintersteht: Ich besitze, also bin ich.

 

Klar, mit all dem Krempel kann man zumindest eine Zeitlang das Gefühl betäuben, das darunterliegt. Eine riesige Trauer zum Beispiel. Oder den Hunger nach Leben. Der Wohlstand kann sich wie Mehltau auf die Seele legen. Wohl dem, der dann eine Entrümplerin kennt.

 

Denn unter dem Ballast liegt ja gerne auch die Liebe begraben, die ja doch leben will. Und in ihr wohnt Gott.

Der Mangel an Gotteserkenntnis ist mitunter dem Zuviel geschuldet. Einem Zuviel an Dingen, einem Zuviel an Information, an Ablenkung, einem Zuviel an Lärm. Deswegen kennen alle Religionen das Fasten – die Rückzugszeit, den bewussten Mangel. Unzulässig häufig reduziert auf das Essen. Das ist ein wichtiges Element. Aber es geht um weit mehr als nur um Körperfett. Es geht um mich. Und darum, mich loszusagen, einmal kurz frei zu sein, um mich wieder verbinden zu können mit denen, die neben mir leben. Und mit dem Höchsten.

 

Am Ende wird die Familie aus der Fernsehsendung drei Viertel ihres Hausrates ausgemistet haben – in einem Kraftakt sondergleichen. Sie kehrt mit einem Viertel wieder zurück in ihr Haus und lebt neu. Anders. Freier. Ehrlicher.

 

Und als vier Wochen später die Entrümplerin samt Kamerateam zurückkehrt, ist die spannende Frage: Hält es an? Diese eine Familie hat geschafft. Aber auch wenn sie rückfällig werden sollte: Sie hat es einmal abgespeichert, wie gut das tut. Wer das erlebt hat, will dahin wieder zurück. Die Chancen stehen gut.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

03.01.2019
Ulrike Greim