Unvergesslich

Morgenandacht
Unvergesslich
19.09.2020 - 06:35
10.09.2020
Cornelia Coenen-Marx
Sendung zum Nachhören
Sendung zum Nachlesen

Er hoffte, dass im Himmel kein Mozart gespielt würde. Und bitte auch nicht Johann Sebastian Bach. Bitte keine Musik im Himmel, hat mein Onkel immer gesagt. Er kannte den Chor von Annette Frier nicht – den Chor für Menschen mit Demenz. Ich habe im ZDF zugeschaut wie er aufgebaut wurde. Wie glücklich die Sängerinnen und Sänger waren, als sie in die alten Lieder und Schlager einstimmen konnten und ihnen sogar der Text wieder einfiel.

 „Unvergesslich“ – der Chor hatte den richtigen Namen. Es war so schön zu sehen, wie froh auch die Angehörigen waren, wieder etwas gemeinsam zu unternehmen. „Singen macht gute Laune und lindert Schmerzen. Es ist unmöglich, ein Lied zu schmettern und gleichzeitig in Grübeleien zu versinken“, sagt Annette Frier. Die Schauspielerin hat das bei ihrer Oma beobachten dürfen. „Leute, probiert es bitte aus“, sagt sie. Singt! Laut! Es hilft gegen alle Arten von Sorgen.“ Das Chor-Projekt wurde von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen begleitet; es ging darum, wie Musik das Gedächtnis stärkt, wach hält und resilient macht. Und da war im MRT durchaus einiges zu sehen- vor allem bei denen, die immer gesungen hatten.

Vielleicht hätte das meinen Onkel überzeugt – immerhin war er Arzt. In jedem Fall: ich fand den Chor durchaus himmlisch. Leider musste die letzte Folge der Sendereihe abgesagt werden, das große Konzert fand wegen Corona nicht statt. Da ging es dem Demenzchor nicht anders als vielen anderen.

Noch immer kann man ja höchstens draußen, in großen offenen Räumen und mit Abstand gemeinsam proben. Diese wunderbare Erfahrung, zusammen zu atmen und zu schwingen und am Ende mit den vielen unterschiedlichen Stimmen zu einem Ganzen zu werden - die fehlt. Im Konzert und auch in einem ganz normalen Gottesdienst. Was ist ein Gottesdienst ohne Gemeindegesang, fragen viele. Dieses Gefühl, eine Gemeinschaft zu sein und nicht nur Publikum, das ist doch vor allem beim Singen zu spüren. Bei einem bekannten Lied, wenn der Gesang den Raum wirklich füllt, dann ahnt man, was der Apostel Paulus meinte: Wir viele sind ein Leib. Eine Gemeinschaft, die mehr ist als die Summe der Teile. Ein Orchester, dessen verschiedene Stimmen sich verbinden.

Die Journalistin Elisabeth von Thadden hat letztes Jahr ein Buch über die berührungslose Gesellschaft geschrieben. Schon vor Corona hatte sie beobachtet, dass Berührung für viele gar nicht mehr selbstverständlich ist. Wer ohne Partner lebt und keine kleinen Kinder hat, wer im Alter allein ist, bekommt die nötigen Streicheleinheiten vielleicht nur noch in der Wellnessmassage. Oder bei einem Haustier. Jetzt – mit social distancing – geht das noch viel mehr Menschen so. Was helfen kann, damit zurecht zu kommen, ist Musik, sagt Elisabeth von Thadden. Musik berührt mit allen Sinnen. Manche sprechen von Sound-Massage. Nicht nur Trommeln, Orgel oder Glocken gehen durch und durch – auch eine Harfe belebt den ganzen Körper. In der Hospizarbeit wurde die Harfe entdeckt – weil das leise Instrument hilft, in einen ruhigen Atem zu kommen.

Der biblische David soll Harfe gespielt haben, um den verstimmten Saul zu beruhigen. Unter den Klängen lösten sich Sauls Depressionen und seine Wut verlor sich. „Sooft der böse Geist über Saul kam, nahm David die Harfe und spielte darauf mit seiner Hand. So wurde es Saul leichter und es ward besser mit ihm und der böse Geist wich von ihm“ steht in der Bibel.

Annette Frier hat Recht: Musik hilft gegen alle Art von Sorgen. Und das haben ja viele versucht in den Wochen des Lockdowns: mit Musik Distanz zu überwinden. Über Kontinente hinweg haben sich Menschen zusammen getan und gesungen – Chormusik im Internet. Das hat ganz offenbar Spaß gemacht – und war doch nicht dasselbe. Deswegen warten alle sehnlich darauf, wieder gemeinsam zu singen.

Ich bin da anderer Meinung als mein Onkel. Ich finde, Musik und Gesang sind schon ein Vorzeichen des Himmels.

 

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

 

 

 

10.09.2020
Cornelia Coenen-Marx