Nikolaus

Morgenandacht

epd-bild / Maike Gloeckner

Nikolaus
06.12.2021 - 06:35
15.09.2021
Silke Niemeyer
Sendung zum Nachhören

Feedback zur Sendung? Hier geht's zur Umfrage! 

Die Sendung zum Nachlesen: 

 

Heute, am 6. Dezember, komme ich einfach nicht an ihm vorbei. Solche Menschen sind eine Institution. Sie sind beliebt und unvergessen. Jeder kennt sie. Sie sind mehr als sie selbst.

 

So einer war Fitti Grabbe. Eigentlich Friedrich, aber bei uns im Dorf nannte ihn keiner so. Fitti Grabbe saß mit seinem Schwergewicht tagaus, tagein in seiner Tankstelle, und ansonsten saß er dem Schützenverein vor. Deshalb kam man nicht nur zu ihm, wenn einem der Sprit ausgegangen war. Bei ihm tankte man auch Geselligkeit, Gemütlichkeit und das neuste Gerede.

 

Der 6. Dezember war sein Tag. Da zog er das weiß-rote Gewand an, setzte die hohe Mütze auf den Kopf, nahm den Stab zur Hand und verwandelte sich in den Nikolaus. Dann besuchte er uns Kinder in der Schule. Es klopfte an der Klassenzimmertür, und der Nikolaus stampfte in den Raum. Und was soll ich sagen: Es war wirklich der Nikolaus, auch wenn er einen Riesenbauch und eine Fitti-Grabbe-Brille im Gesicht hatte und ich seine Stimme kannte. Aber in diesem Augenblick ist er der Heilige aus Myra. Und alle sitzen wir voller Ehrfurcht und mit Herzklopfen da, mit so einer Mischung aus Ängstlichkeit, ob er uns wohl ausschimpfen wird, und Vorfreude auf die Süßigkeiten, die er verteilen wird. Auch die Jungs, die nachher, als er weg ist, angeberisch rufen: Ich hab ihn erkannt. Das war gar nicht der Nikolaus, das war Fitti Grabbe.

 

Aber jene Jungs machten sich damit nicht beliebt; sie waren irgendwie Verräter. Wir wollten einfach an ihn glauben, an diesen Nikolaus, der genau wusste, dass wir keine braven Kinder waren, der uns aber doch beschenkte. Das ist nämlich wirklich etwas Wunderbares. Von so einer Großzügigkeit und Güte kann man ja auch als Erwachsener oft mehr vertragen.

 

Die Evangelische Kirche hat den Nikolaustag erst 2018 offiziell als Gedenktag in die Gottesdienstordnung aufgenommen; sie hat damit endlich anerkannt, dass dieser Heilige auch für Protestanten nicht wegzudenken ist. Für viele Atheisten übrigens auch nicht, ist meine persönliche Vermutung. Der 6. Dezember ist ein kleines Weihnachten vor dem großen, dem richtigen Weihnachten.

 

Ich will vor lauter Begeisterung über den Nikolaus aber nicht vergessen, dass die Volksfrömmigkeit um ihn herum auch böse Bräuche erfunden hat. Da ist der Knecht Ruprecht zu nennen als eine Art Bad Cop mit der Rute an seiner Seite. Auch hat das Nikolauskostüm bösen Männern eine Verkleidung dafür geboten, ihre fiesen Gewaltphantasien auszuleben. Nicht wenige erinnern sich, dass der Nikolaus ihrer Kindheit einer war, der eigentlich noch gern die braune Uniform getragen hätte. Und heute noch genießen es manche Nikoläuse, die Kleinen in Angst zu versetzen. Einen sehe ich vor mir, der ging mit einem Sack herum, aus dem ein Kinderfuß lugte.

 

Auch wenn über Nikolaus berichtet wird, er habe seinem theologischen Widersacher Arius auf dem Konzil von Nizäa eine saftige Ohrfeige verpasst: der historische Bischof war während der Christenverfolgung im Jahr 310 selbst ein Opfer von Gewalt. Er wurde wegen seines Glaubens gefangen genommen und gefoltert. Sein ererbtes Vermögen soll er an Notleidende verschenkt haben. Es gibt wenig über diesen Mann, das historisch gesichert ist, dafür aber zauberhafte Legenden – zum Beispiel die, wie Nikolaus Seeleute aus Todesnot rettet, indem er den Sturm stillt. Er ist deshalb zum Patron der Seeleute geworden, und ich finde, Nikolaus wäre heute ein guter Name für ein Rettungsboot auf dem Mittelmeer. Einst bastelten die Kinder im Gedenken an den Seenotretter Papierschiffchen und stellten sie vor die Tür, damit der Nikolaus sie mit Gaben befülle. Ein bisschen schade eigentlich, dass man statt der Schiffchen später die Stiefel oder Schuhe herausstellte.

 

Aber Hauptsache, er lebt weiter, der Nikolaus. Und seine Legenden werden weiter gelesen. Kinder und Erwachsene brauchen den Glauben, dass das Leben nicht nur sauer ist, und die Freude auf einen, der einem Süßigkeiten bringt. Einfach so.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

15.09.2021
Silke Niemeyer