Offene Gesellschaft

Morgenandacht
Offene Gesellschaft
04.04.2018 - 06:35
01.03.2018
Angelika Obert
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Die Hölle, das sind die andern. So hat es Jean-Paul Sartre gesagt und vorgeführt in seinem Theaterstück: „Geschlossene Gesellschaft“. Drei Personen hacken da in alle Ewigkeit aufeinander herum und können sich nicht entkommen. Und so ist es ja gar nicht selten auch im wirklichen Leben: Gerade wenn man eng aufeinander hockt, kann man sich das Leben gegenseitig zur Hölle machen. Das kommt vor in Klassenzimmern und Büros und manchmal auch auf einer langen Fahrt im Auto.

 

Die reine Hölle haben gewiss auch die Jünger Jesu nach seiner Kreuzigung erlebt. Alle hatten sie Angst, sie könnten nun auch gefangen genommen werden als Anhänger des verworfenen Messias. So hockten sie beieinander hinter verschlossenen Türen, konfus und verzweifelt. Jeder starrte in einen Abgrund, jeder suchte nach Gründen für die Katastrophe. Sicher fingen sie da auch an, sich gegenseitig Vorwürfe zu machen. Hatte doch jeder irgendwie versagt. Jetzt, wo Jesus fehlte, kam alles hoch, was sie schon immer aneinander gestört hatte. Jetzt machten sie sich das Leben zur Hölle.

 

Einer hält es nicht aus in der giftigen Atmosphäre. Thomas will nur noch weg. Er kann das nicht: streiten und Streit aushalten. Es fällt ihm sowieso schwer, irgendwo mittendrin zu sein. Er hält sich immer ein wenig zurück, er hat Angst vor zu viel Nähe. Die kann ja schnell zur Hölle werden, wie sich gerade zeigt. Thomas braucht einen gewissen Sicherheitsabstand zu den andern und wenn er unglücklich ist, sucht er das Weite. Dann läuft er weg.

 

So ist er auch nicht da, als sich für die Gruppe der Jünger am Abend alles ändert, weil Jesus auf einmal nicht mehr abwesend ist. Sie erleben seine Anwesenheit alle miteinander. Er, der sie alle verstanden hat, ist mit ihnen und sie sehen seine Wunden. Da können sie nicht mehr aufeinander herumhacken. Jetzt sehen sie sich gegenseitig gerade so, wie Jesus sie gesehen hat: Sie sind selbst ja auch Menschen, die ihre Wunden haben, jeder auf seine Art. Alle sind sie angewiesen auf Verständnis, auf einen liebevollen Blick.

 

Es ist wie das Erwachen aus einem Alptraum. Wo eben noch Hölle war, herrscht jetzt Weite und Freundlichkeit. Jetzt verstehen sie, was Jesus von ihnen will und was er ihnen zutraut: dass sie sich gegenseitig im Licht sehen, einander ermutigen. Nicht aufeinander herumhacken. Dass sie den Raum weit machen überall da, wo Menschen sich das Leben zur Hölle machen.

 

Und da kommt nun Thomas zurück, immer noch verzweifelt. Er kann es nicht fassen, dass die andern, diese Giftzwerge, plötzlich so einträchtig beieinander sind. „Sie machen sich was vor!“, denkt Thomas und vielleicht denkt er auch: „Immer bin ich derjenige, der außen vor bleibt!“ Jedenfalls stürzt ihn die Freude der andern nur in noch größere Einsamkeit und er lässt sie seine Distanz auch spüren.

 

Es sieht so aus, als könnte die Gruppe das aushalten, obwohl es ja gar nicht so leicht auszuhalten ist, wenn da einer immer nur negativ reagiert, immer nur zweifelt, spottet und leidet. Das belastet die andern natürlich, aber sie lassen es zu, geduldig. Sie zweifeln nicht mehr: Auch Thomas gehört zu uns mit seinem ewigen Dagegensein.

 

Er wird nicht ausgeschlossen. Und so geschieht es, dass schließlich auch ihm die Augen aufgehen für das Dasein des Auferstandenen und es endlich bei ihm ankommt: Nicht nur für die andern, auch für ihn ist er da. „Rühr mich an!“ hört er ihn sagen, „trau dich, an meine Wunden zu rühren.“ Und ich denke, Thomas versteht: „Da ist keine Glasscheibe zwischen mir und dem Leben der andern. Ich bin nicht irgendwie außerhalb, ich bin drinnen. Ich muss die Nähe nicht fürchten, die Berührung und auch die Reibung nicht.“

 

Und so fängt auch für ihn das Leben noch einmal neu oder jetzt überhaupt erst richtig an. Die Hölle – das ist wohl doch eher das Getrenntsein von den andern. So sagt es diese Ostergeschichte aus dem Johannesevangelium.

01.03.2018
Angelika Obert