Reden

Morgenandacht
Reden
07.01.2021 - 06:35
05.01.2021
Jörg Machel
Sendung zum Nachhören

Die Sendung zum Nachlesen: 

Wenn ich an Hiob denke, sehe ich einen Mann vor mir: verzweifelt in seinem Schmerz und seinem Leid. Dieser Mann hadert mit Gott. Denn das Unglück, mit dem er geschlagen ist, kam unverdient. Die Regel, dass Gott das Böse straft und das Gute belohnt, scheint nicht mehr zu gelten. Und gegen solche Willkür Gottes lehnt sich Hiob auf. Doch tiefer noch berührt mich seine Wut auf die Freunde, die ihn mit Erklärungen nerven, statt ihm beizustehen.

"Da antwortete Hiob und sprach: Ja, ihr seid die Leute, mit euch wird die Weisheit sterben! Was ihr wisst, das weiß ich auch, und ich bin nicht geringer als ihr. Wollte Gott, dass ihr geschwiegen hättet, so wäret ihr weise geblieben."

In diesen Worten finde ich die Kritik an so manchem misslungenem Beratungsgespräch zusammengefasst. Wer sich bemüht, seinen Mitmenschen im Gespräch helfen zu wollen, wird lernen müssen, sich an das zu halten, was Hiob gegenüber seinen besserwisserischen Freunden mit aller Entschiedenheit einklagt.

Das helfende Gespräch wird immer und vor allem Zuhören sein. In einem solchen Gespräch muss ein Freiraum entstehen, in dem der leidende, zweifelnde, sich missverstanden fühlende Mensch seine Sorgen und seine Verzweiflung vorbringen kann. Schuldzuweisungen sind verboten. Mutmaßungen über Zusammenhänge, Gründe, Verstrickungen und neue Einsichten muss der Ratsuchende selbst formulieren, wenn sie ihm denn helfen sollen.

All dies intendieren die Worte des Hiob, der sich gegen seine besserwisserischen Helfer zur Wehr setzt. Er wirft ihnen vor, falsch an ihm zu handeln. Nicht den bösen Willen wirft er ihnen vor. In guter Absicht tun seine Freunde das Falsche. So, wie es immer und immer wieder geschieht: In guter Absicht wird das Falsche getan!

Hier ist nicht nur von Seelsorge die Rede, sondern von jedem helfenden Gespräch, das Menschen miteinander pflegen – zwischen Geschwistern, Freunden, Kollegen und in der Gesellschaft. Miteinander sprechen – das kann dazu beitragen, einen Schmerz zu lindern –  oder ihn noch zu vergrößern. Doch wie schwer es ist, jemanden in seiner Trauer zu trösten, in seiner Verzweiflung zu ermutigen und in seiner Isolation zu erreichen – das ahnt jeder, der auf einen großen Schmerz der Seele reagieren muss.

Die Hiobgeschichte handelt von einem einzelnen Menschenschicksal und so zielt sie zuerst auf das Individuum. Aber in dieser Geschichte steckt durchaus auch ein gesellschaftlicher Aspekt. Der Vorwurf des Hiob gegen seine Freunde gilt über den privaten Rahmen hinaus. Auch im Umgang von Gruppen und Völkern wird häufig ignoriert, sein Gegenüber zu hören und wahrzunehmen!

Es scheint geradezu ein Grundzug des Menschen zu sein, sich in Hinsicht auf die Lebensumstände und -zusammenhänge seiner Mitmenschen kompetent und urteilsfähig zu fühlen. Hier ein Ratschlag, da eine Korrektur, hier etwas auf den Weg gebracht und da etwas verhindert, und dann sollte es doch mit dem Teufel zugehen, wenn daraus nicht etwas Gutes erwächst!

Eltern verfahren so mit ihren Kindern, Chefs mit ihren Angestellten, der Staat mit seinen Bürgern und die reichen Industrieländer mit den unterentwickelten Regionen der Erde. Und die, denen die Wohltat zukommen soll, sitzen da und denken den Gedanken des Hiob: „Ja, ihr seid die Leute, mit euch wird die Weisheit sterben!“

Hiob kann zu einem Lehrstück in Sachen Gespräch und Seelsorge werden. Aber auch in größeren gesellschaftlichen Zusammenhängen gilt: erstmal hinhören, nachfragen und den in Not geratenen solidarisch zur Seite stehen, ohne Besserwisserei.

 

05.01.2021
Jörg Machel