Respekt

Morgenandacht
Respekt
26.11.2020 - 06:35
20.11.2020
Matthias Viertel
Sendung zum Nachhören

Die Sendung zum nachlesen: 

 

Als Jugendlicher mochte ich den Begriff „Respekt“ nicht besonders. Er war mir irgendwie verdächtig, weil ich dabei an die sogenannten Respektspersonen dachte. Das waren Menschen, die es zu etwas gebracht hatten, und denen man deshalb Achtung schuldete, Lehrer etwa oder der Chef einer Firma. Höflich grüßen sollte ich sie, dabei die Hände aus den Hosentaschen nehmen und den Kopf leicht nicken. Und dann hieß es noch - wie zur Erklärung - Respekt muss man sich erst verdienen. Was nichts anderes bedeutete, als dass ich als junger Mensch nichts davon abbekommen sollte, weil ich ja noch nichts verdient hatte. Auf diese Weise verlor bei mir der Ausdruck Respekt seine Glaubwürdigkeit und ich packte ihn schließlich in die Schublade der angestaubten und ausgemusterten Attribute.

Erst im Theologiestudium war Respekt wieder ein Thema für mich, als ich mich mit Geschichten aus dem Neuen Testament befasste. Das Diktum, dass man sich Respekt erst verdienen müsse, bekam Risse. In der Bibel las ich, wie Jesus einer Samaritanerin höflich begegnete, obwohl die Samaritaner als Fremde galten und vielen unwillkommen waren. Jesus nahm Partei für die Ehebrecherin, ließ sich von einem Zöllner zum Abendessen einladen, und widmete sich generell und mit Vorliebe denjenigen, die als Sünder bezeichnet wurden. Immer ging es um einen respektvollen Umgang, aber in einer ganz anderen Form, die eben nicht auf Verdienst beruht. Ganz im Gegenteil sogar: wenn Jesus sich von einem Zöllner zum Abendessen einladen lässt, dann tut er das nicht als Anerkennung einer Lebensleistung, sondern gerade trotz des schlechten Rufs, trotz aller Vorwürfe, die dem Zöllner zu Recht gemacht werden konnten. Hier begegnete ich einer Form von Respekt, die gerade jenen Menschen entgegengebracht wird, die nicht zu den Freunden gehören. Menschen, von denen gerade deshalb erzählt wird, weil sie nicht sympathisch erscheinen, und es wohl auch nicht waren.

Hier geht es um Respekt, den man sich nicht verdient, den man sich auch nicht verdienen kann. Sondern der mir als Mensch einfach zufällt. So gesehen ist Respekt keine Forderung von Autoritäten, sondern vielmehr eine grundlegende Haltung, mit der ich als lebendes Wesen anderen lebenden Wesen gegenüberstehe.

Das beschäftigt mich gerade in diesen Tagen, denn ich beobachte genau das Gegenteil: Denjenigen, die eine andere Meinung vertreten, wird der Respekt verweigert. In der Politik ist das so, das haben die Wahlen in den USA gerade gezeigt. In der Öffentlichkeit werden Menschen angegriffen, beleidigt und heruntergemacht. Erst recht macht sich Respektlosigkeit im anonymen Internet breit, mit Häme und Hass werden Menschen beschimpft, Meinungen verunglimpft und ein vernünftiger Austausch von vornherein abgelehnt. Das verschärft jede Krise noch.

Der Begriff Respekt leitet sich vom lateinischen respectio ab und bedeutet so viel wie „Rückschau“. Eine merkwürdige Verbindung, stellt sich Respekt tatsächlich dann ein, wenn ich zurückschaue? Wenn ich darauf achte, was mein eigenes Leben bisher an Höhen und Tiefen durchgemacht hat? Wenn ich beachte, was andere Menschen in ihrem Leben zu dem gemacht hat, was sie sind? Alle tragen ihre Geschichten mit sich, und die meisten davon sind schwer zu tragen. Sich das vor Augen zu halten bewirkt Respekt.

Diese Woche zwischen dem Ewigkeitssonntag und dem 1. Advent ist eine Zeit des Zurückschauens. Altes vergeht und Neues findet einen Anfang. Vier Wochen im Advent stimmen mich darauf ein, dass nicht nur ein neues Kirchenjahr beginnt, sondern auch mein Leben neu anfangen kann.

Für diesen Wechsel vom Alten zum Neuen ist mir der Respekt ein zentraler Gedanke. Das Weihnachtsfest, auf das der Advent einstimmt, ist ein wunderbares Beispiel für respektvolles Verhalten von allen Seiten. Ein Respekt, der keine Rangordnung kennt: Hirten und Könige, Alte und Junge, Männer und Frauen, sie alle kommen an der Krippe zusammen, sind sich in aller Verschiedenheit nahe und teilen miteinander im Viehstall die Ehrfurcht vor dem Leben.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

20.11.2020
Matthias Viertel