Rio

Morgenandacht
Rio
09.01.2020 - 06:35
19.12.2019
Ulrike Greim
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„Ich hab geträumt

der Krieg wäre vorbei

du wärst hier

und wir wären frei

und die Morgensonne schien

alle Türen waren offen

die Gefängnisse leer

es gab keine Waffen

und keine Kriege mehr

das war das Paradies …

Ich weiß nur eins

und da bin ich sicher

DIESES LAND IST ES NICHT

DIESES LAND IST ES NICHT“

 

Rio Reiser, 1972.

Da war er jung. Ein Feingeist. Sensibel.

Einer wie er hatte es schwer.

Männer müssen hart sein, du musst austeilen. Nicht dichten. Deine Muskeln stählen, nicht Verse schreiben. Ein Weib nehmen. Nicht träumen von einer Welt, die es nie geben wird.

 

Ralph Christian Möbius wird am 9. Januar 1950 in Berlin geboren.

Sein Vater ist Ingenieur bei Siemens. Wird oft versetzt, die Familie muss viel umziehen. Der Junge: heimatlos. Wie findet man Wurzeln?

 

Die Schule ist sein Ding nicht.

Hatten Lehrerinnen und Lehrer einen Blick für so einen Feinsinnigen?

Wohl kaum.

 

„Wir wollen freie Menschen sein

Und brauchen eine Schule ohne Angst,“

So schreibt er.

„Wir wollen nicht gelenkt werden

Und nicht lernen zu lenken

Wir können selber handeln und selber denken.“

 

Liebe Lehrerinnen: Schützt die Sensiblen!

Gebt ihnen Raum, langsam zu sein und leise.

Bei den Tieren sind es die Sensiblen, die die Herde zu den Wasserplätzen führen.

 

Ralph Christian bricht das Gymnasium ab und beginnt eine Lehre als Fotograf.

Es arbeitet in ihm, rumort. Der gesellschaftliche Druck, die politische Situation, private Turbulenzen.

Wer will da nicht radikal werden?

„Macht kaputt, was euch kaputt macht“, schreit er ins Mikro.

 

Seine Gabe, sein sprachliches Talent, sie ist beileibe kein Garant für ein glückliches Leben.

Er dröhnt sich zu, um das Leben auszuhalten.

 

In einem psychologischen Roman liest er von Anton Reiser, die fiktive Hauptfigur. Und ändert seinen bürgerlichen Namen in Rio Reiser.

Er erfindet sich neu. Bringt sich selbst neben Klavier auch Gitarre und Cello bei.

 

„Wenn niemand bei dir ist, und du denkst,

dass keiner dich sucht,

und du hast die Reise ins Jenseits

vielleicht schon gebucht,

und all die Lügen geben Dir den Rest:

Dann halt dich an deiner Liebe fest.“

 

Mit 16: die erste eigene Band.

Er bricht die Lehre ab und zieht ins aufgewühlte Berlin.

Mit 20 steht die Band, mit der er berühmt wird: Ton Steine Scherben.

Die erste LP heißt „Warum geht es mir so dreckig“?

Sie vertreiben ihre Platten selbst. Erspielen sich Kultstatus in der Hausbesetzerszene Kreuzberg und deutschlandweit. Werden als „Jukebox der Linken“ verhöhnt, ziehen sich aufs Land zurück, nach Fresenhagen auf Friesland. Produzieren melancholische Lieder, auch Hörspiele. Leben als Kommune.

Rio Reiser outet sich als Schwuler. Verarbeitet das in Theaterstücken.

Die Band tritt wieder auf, Fehlkalkulationen und üppiges Leben stapeln einen hohen Schuldenberg auf. Er ist 35, als sich die Band auflöst. Rio Reiser macht solo weiter.

Mit „König von Deutschland“ und „Junimond“ kommt er aus den roten Zahlen. Er trifft den Nerv der Zeit, wenn er herausschreit: „Alles Lüge“.

 

Als linker Pop-Star gibt er 1988 ein umjubeltes Konzert in Ostberlin. Eingeladen von der FDJ, die sich dabei mutig fühlt. Sehnsüchtig grölen alle mit bei seinem Song „Der Traum ist aus“.

 

Er veröffentlicht Alben, steht auf Bühnen mit verschiedenen Künstlerinnen und Künstlern, komponiert Filmmusiken, ist selber Schauspieler, produziert, schreibt für andere. Ein Kreativer. Ein Ungeschützter.

Ein politischer Mensch. Auch da sucht und wandert er sein Leben lang. Er spielt für die SPD im Wahlkampf, für die Grünen, wird später Mitglied in der PDS.

 

Seine Live-Tour 1996 muss er absagen. Da ist er 46. Die Drogen haben ihn kaputt gemacht. Er stirbt an einem Kreislaufversagen.

 

Heute würde Rio Reiser seinen 70. Geburtstag feiern.

Er möge das Land gefunden haben, in dem er sein darf, wie er ist. Wo alles Kaputte geheilt ist, wo alle Tränen gesammelt und gezählt sind. Wo die Liebe vollkommen ist und er gehalten ist ihn ihr. Immer und immer und immer.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

19.12.2019
Ulrike Greim