Schon schade

Morgenandacht
Schon schade
02.10.2019 - 06:35
18.07.2019
Angelika Obert
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„Er aber wurde unmutig und ging traurig davon“. (Mk. 10, 22) Mit diesem Satz endet die biblische Geschichte vom reichen Jüngling, die zunächst hoffnungsvoll beginnt. Unterwegs auf Bildungsreise ist er Jesus begegnet und offenbar hingerissen von dem ganz andern Leben, das er in seiner Nähe kennenlernt: Geradezu himmlisch findet er die fantastische Atmosphäre, die da herrscht, die große Freiheit, Offenheit und Fröhlichkeit bei den Jesusleuten. Ja, so möchte er auch leben und wirft sich in seiner Begeisterung Jesus vor die Füße: „Sag mir, was ich tun muss, damit ich so himmlisch lebe wie du und deine Leute hier ...“ Jesus ist von solcher Schwärmerei erstmal gar nicht angetan und hält den jungen Mann auf Abstand. Aber als er merkt, dass der es ernst meint, gewinnt er ihn doch lieb und gibt ihm ernsthaft Rat: „Geh und verkaufe alles, was du hast. Gib‘s den Armen.“

Das ist nun allerdings zu viel verlangt. Überdies ja auch unsinnig: Wenn er alles hergibt, sitzt er ja am Ende selbst auf der Straße und muss betteln. Aber so weit denkt der junge Mann gar nicht. Er denkt an sein schönes Haus, an die Möbel, die er liebt. Er denkt, wie gern er gut isst und wie gern er reist und dass er auf all die schönen Dinge, die er sich leisten kann, nicht verzichten möchte. Und so wird er unmutig und geht traurig weg. Ich kann‘s ihm nachfühlen.

Was mag aus ihm geworden sein wieder zu Hause, wo die Geschäfte auf ihn warteten? Ging‘s ihm gut damit? Oder hatte er alle Tage auch seine Portion Ärger – mal mit den Angestellten, mal wegen der Missernte, mal mit den neuen Verordnungen? Und immer diese Nachbarn, die noch ein bisschen erfolgreicher waren als er. Hat er noch manchmal an Jesus gedacht? Voll Zorn und Unmut? Was würde denn aus unserm Land, wenn es alle so machten wie du, Jesus? Einfach drauflos lebten? Eigentlich bin ich es doch, auf dessen Kosten du sorglos durch die Gegend ziehst. Oder hat er sich doch auch mit Wehmut erinnert an die kurze Zeit, bevor er traurig davon ging? Die paar Tage, an denen ihm das Geld und die Geschäfte egal waren?

Wenn ich jetzt an die Zeit vor 30 Jahren denke, dann erinnere ich mich auch an so einen Moment, in dem ich traurig davon ging. Das war nach der Maueröffnung – im Winter 1990. Über die Bornholmer Brücke drängelten sich täglich viele Menschen Richtung Westen auf die Badstraße. Das ist nun eher eine Straße für arme Leute, aber zum Einkaufen wollte sie nun doch unbedingt verlocken. Dicht an dicht standen da vor den Billigläden auch noch die Straßenhändler, die auf ihren Decken allen möglichen Kram anboten – Armbänder und Haushaltsgegenstände, glitzerndes Zeug. Ihren Schnitt wollten sie machen bei all denen, die nun gucken kamen, wie es ist, im Westen einkaufen zu gehen. Sich einfach mal verlocken zu lassen vom bunten Angebot – das mache ich ja selbst oft genug.

Aber damals machte es mich traurig. Sie ist vorbei, dachte ich, die kurze Zeit des Aufbruchs, des gemeinsamen Muts, der großen Ideen. Jetzt wird‘s nur noch ums Geld gehen. Jetzt sind die Revolutionäre schon als Konsumenten erfasst und die DDR als Markt. Und da werden am Ende nur wenige als reiche Jünglinge davonziehen und viele sich betrogen vorkommen, weil sie nie genug haben, um sich all die Dinge leisten zu können, die das Glück versprechen. Schon schade, fand ich, dass am Ende die Dinge zum Kaufen immer verlockender sind als das ungreifbare Himmelreich-Leben, das richtige, nach dem wir uns doch auch sehnen.

Freimut, Offenheit, Fröhlichkeit, gemeinsamer Aufbruch – dazu gehört wohl, dass man sich nicht so fixiert auf die Sicherheit und den Zuwachs, wie reiche Jünglinge das nun mal tun müssen. Vor dreißig Jahren ist ein paar Wochen lang etwas davon durch unser Land geweht. Jetzt scheint vor allem der Unmut zu wehen. Oder sind nicht längst auch wieder junge und alte Menschen unterwegs, die fragen: Was kann ich tun, um nicht im Unmut zu ersticken?

 

Es gilt das gesprochene Wort.

18.07.2019
Angelika Obert