Stab

Morgenandacht

Gemeinfrei via unsplash/ Ian Taylor

Stab
18.01.2022 - 06:35
14.01.2022
Peter Oldenbruch
Sendung zum Nachhören

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Die Sendung zum Nachlesen: 

„Weide dein Volk mit deinem Stabe“, heißt ein Satz des Propheten Micha. Und dieser Satz wurde für den heutigen Tag ausgelost. Als biblische Losung. Dem 18. Januar 2022 ist zugefallen: Weide dein Volk mit deinem Stabe!

 

Wenn Gott Hirte ist, dann sind die Menschen Schafe. Oder Ziegen. Ich aber will kein Schäfchen sein, kein Herdentier, keine dumme Ziege, die jemand Ungeduldiges am Strick hinter sich herzieht. Ich will kein Schäfchen sein und keine Ziege. Auch in religiösen Fragen bediene ich mich meines eigenen Verstandes. Was ich glaube, was nicht, das entscheidet kein Papst, kein Bischof

und keine Pastorin. Das ist meine Gewissensentscheidung. Ich will nicht geführt werden.

 

Ich lese die Bibel und höre auf andere, am Ende des Tages entscheide aber ich. So schaut´s aus.

Womöglich sieht es aber auch nur so aus. Parallel zu meiner ach so stolzen protestantischen Freiheit steckt in mir auch der Wunsch, geführt zu werden und geleitet. „Weide dein Volk mit deinem Stabe!“

 

Einspielung: „So nimmt denn meine Hände“ (Ulrich Bieber)

 

„So nimm denn meine Hände“. Bitte nicht dieses Lied, höre ich mich als jungen Pfarrer

zu einem Brautpaar sagen. Es passe vielleicht zu einer Beerdigung, nicht aber zu einer Trauung.

 

Aus ähnlichen Gründen, vermute ich, war „So nimm denn meine Hände“ - 42 Jahre lang, von 1950 bis 1992 - aus dem Evangelischen Gesangbuch verbannt. Und natürlich wegen der ach so romantischen Melodie von Friedrich Silcher. Im Glauben, so wurde argumentiert, gehe es um ein „objektives Geschehen“, um die Offenbarung Gottes in Christus, nicht um ein subjektives religiöses Gefühl.

 

„So nimm denn meine Hände“ jedoch verdichtet religiöses Gefühl. Und das ist kein Zufall. Die Verfasserin, Julie Hausmann, stammt aus einer pietistischen Umgebung, aus einer Frömmigkeit, der´s um die eigene religiöse Erfahrung geht. Eine Legende erzählt, Julie Hausmann habe sich in einen jungen Pfarrer verliebt und sich auch mit ihm verlobt. Der Verlobte jedoch ging als Missionar nach Afrika - in der Hoffnung, Julie werde ihm bald folgen. Als sie nach wochenlanger Reise auf der Missionsstation ankommt, war der Verlobte vor wenigen Tagen gestorben. Aus dieser emotionalen Situation heraus sei das Lied entstanden Auch wenn´s eine Legende ist, so ist´s doch gut erfunden.

 

 

„Lass ruhn zu deinen Füßen dein armes Kind;

es will die Augen schließen und glauben blind.“

 

Dichtete Julie Hausmann. Ein heutiger Kritiker meint, das sei keine wache Gotteskindschaft, sondern die „Infantilität einer Regredierenden“, die sich „ohne Denken und Vernunft“ ihrem Gefühl hingebe.

 

Kein Wunder, dass das Württembergische Gesangbuch bereits 1912 warnte, das Lied sei nicht für den Gesang im Gottesdienst bestimmt. Ich habe es, wenn ich mich richtig erinnere, auch nie in einem Gottesdienst singen lassen. Immer wieder jedoch wurde ich darauf angesprochen. Vielleicht spricht das Lied Seelenlagen an, die viele Menschen kennen: das schwache Herz, das von Gottes Macht schier gar nichts fühlt, ein als Nacht erlebtes Dasein, allein nicht mehr gehen wollen, „nicht einen Schritt“.

 

Wir würden das heute anders benennen als Julie Hausmann. Und von Depression reden oder von Burnout.

 

„Weide dein Volk mit deinem Stabe“ heißt die Tageslosung für heute. Julie Hausmann wollte an der Hand genommen und geführt werden, durch die Depression hindurch, über das Burnout hinaus. Gott möge sie führen - auch dann, wenn sie nichts von ihm spürt, wenn´s allein nicht mehr geht, nicht einen Schritt:

 

„Wenn ich auch gleich nichts fühle von deiner Macht,

du führst mich doch zum Ziele - auch durch die Nacht.“

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

 

14.01.2022
Peter Oldenbruch