Valentina

Morgenandacht
Valentina
03.04.2021 - 06:35
24.03.2021
Florian Ihsen
Sendung zum Nachhören

Die Sendung zum Nachlesen: 

Ein Morgen ganz früh in der Aussegnungshalle am Münchner Nordfriedhof. Die Halle ist fast leer, drei Gemeindeglieder sind gekommen. Ich hatte sie vorher eigens angerufen: „Seid bitte dabei“. Neben mir der Kreuzträger. Und vor mir ein einfacher Sarg aus hellem Kiefernholz. Viele Astlöcher, einfache Griffe, keine Blume. Nur das kleine Schild am Rand, mit den Daten der Verstorbenen: Valentina, 93 Jahre, vor zwei Wochen gestorben. Bestattung von Amts we-gen. Das heißt: Die Stadt München hat Angehörige gesucht, aber niemanden gefunden. 
Aus dem Lautsprecher kommt Musik von der CD. Auch die habe ich mitgebracht: „Jesus blei-bet meine Freude“ und „Befiehl du deine Wege“. Vielleicht kannte Valentina diese Musik. Ich bete den Psalm vom guten Hirten, lese das Evangelium, wo Jesus sagt: „Ich bin die Auferste-hung und das Leben“ – und erzähle den Anwesenden vom Leben, von Valentinas Leben. Aus der Meldung des Bestattungsamtes weiß ich ein paar Daten, anderes versuche ich mir vorzustellen: Geboren wurde Valentina in Siebenbürgen in einem kleinen Dorf. Sie hat den Zweiten Welt-krieg erlebt. Sie war unverheiratet und ohne Kinder. Beruf: Landwirtschaftsarbeiterin. Wohl um das Jahr 1989 kam sie nach Deutschland, hat ihre Heimat hinter sich gelassen und ist in eine unbekannte Zukunft aufgebrochen. Mit über 60 hat Valentina alles zurücklassen und noch einmal woanders neu angefangen – das finde ich mutig. Vom Dorf in Siebenbürgen in die Großstadt nach Deutschland. Zuletzt lebte sie mit Demenz in einem Pflegeheim in unserer Kirchengemeinde. Erst da habe ich sie kennen gelernt, bei Besuchen zum Geburtstag. Von sich erzählen, das konnte sie da schon nicht mehr. Und jetzt hier, bei der Beerdigung, bin ich als Pfarrer der einzige, der sie persönlich gekannt hat, der eher zufällig etwas von ihr erzäh-len kann. 

Bestattungen von Amts wegen gibt es immer öfter, vor allem in Großstädten. Die Verstorbe-nen sind aus allen Schichten und Altersgruppen. In den Lockdowns beklagen viele, dass man die Angehörigen im Pflegeheim nicht besuchen kann. Dass Abschiede und Beerdigungen so be-schränkt bleiben, nur 10 oder 20 Personen. Das ist traurig. Als Seelsorger in Seniorenheimen habe ich viele begleitet, die gar keine Angehörigen haben. Und wenn hochbetagte Menschen beerdigt werden, sind auch ohne Corona oft nur wenige Trauergäste dabei. Einsamkeit in der letzten Lebensphase und einsame Beerdigungen gibt es reichlich. Und ich möchte dafür sensi-bel bleiben, auch nach der Pandemie: dass Menschen einsam leben und sterben. In jedem Alter. 

Als Jesus in Jerusalem einzieht, sind noch Mengen an Menschen dabei. „Hosianna“ rufen sie und dann: „kreuzige ihn“. Und dann wird es schrittweise stiller und einsamer. Am Abend vor seinem Tod nur noch der engste Kreis. Bei seinem Tod sind von seinen Nächsten nur noch zwei, drei dabei. Und bei seinem Begräbnis nur einer oder zwei, eher zufällig, in jedem Fall ein Josef von Arimathäa. 
An diesen Josef von Arimathäa muss ich denken, wenn ich alleine an einem Sarg oder einer Urne stehe. Dass die Kirche da ist, dass Pfarrer*innen auch dann Beerdigungen begleiten, wenn keine Angehörigen und Freunde zu erwarten sind, hat auch eine Botschaft: Jedes Leben ist Gott lieb. Von Gott gesegnet und begleitet. 
Was in meinem Leben noch kommen wird, welche Beziehungen halten werden, wie die letzte Phase meines Lebens sein wird – ich weiß es nicht. Aber ich vertraue auf die Liebe Gottes, in jedem Fall. Jesus bleibet meine Freude. Und gewiss wird mich mindestens ein Mensch auf dem letzten Weg begleiten und an meinem Sarg stehen. Ein Mensch, der auch an diese Liebe Gottes glaubt.
 

Es gilt das gesprochene Wort.


 

24.03.2021
Florian Ihsen