Vom Meer bedroht und verwandelt zugleich

Morgenandacht
Vom Meer bedroht und verwandelt zugleich
12.11.2019 - 06:35
18.07.2019
Claudia Aue
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Grau, fast ein bisschen schmuddelig, ist das Meer hier, und rau. Eine steife Nordsee-Brise umweht mich an Deck. Nieselregen kriecht in die Haare, den Nacken. Den Kragen schlage ich lieber ganz hoch. Vor einer halben Stunde hat die Fähre in Dagebüll abgelegt und schippert jetzt nach Föhr. In der Ferne sind die Umrisse von Amrum zu erkennen.

 

Eintauchen in eine andere Welt. Langsamer, rauer – auf die Insel, raus aus dem Alltag. Das Meer macht etwas mit den Menschen, ahne ich. Und ich höre Geschichten von „Meermenschen“ in diesen Tagen auf dieser grünen nordfriesischen Insel mitten im Wattenmeer. – Auf den Spuren der Seefahrer komme ich zum Friedhof des Friesendoms. Viele Bilder und Geschichten von Gott und den Seefahrern findet man hier auf den Grabsteinen.

 

Mich beeindruckt der Grabstein von Rörd Knudten aus Midlum. Der helle Stein zeigt das Schiff „De Vrede“. Offensichtlich gerade mitten in einem tosenden Sturm. Die Segel sind gerefft. Sturzseen werfen das Schiff hin und her. Ein Seemann ist zu erkennen, hebt hilferufend seine Arme zum Himmel. Aus den Wolken bedroht eine göttliche Hand Wind und Meer. Fast fühle ich mich mit auf See – im Auge des Sturmes. Aber das Bild ist noch nicht zu Ende geguckt. Im oberen Bogen des Grabsteins steht ein Vers – wie eine Überschrift:

Oft stürmt der Wind, die Wellen toben, der Seemann fleht, dass Schifflein kracht. Gott hört's und sieht von oben, bedroht Wind und Meer und spricht: Seid sacht.

 

Der Grabstein zeigt, was Rörd Knudten und andere Seefahrer von Föhr erlebten: Sie wurden auf wundersame Weise bewahrt. Das Schiff hat Rörd zwar verloren, erfahre ich. Aber er und ein Großteil der Besatzung haben überlebt. Sie hatten Ruhe nach dem Sturm.

 

Vielleicht ein bisschen wie die Jünger es erlebt haben – in der Bibelgeschichte über den großen Sturm: Jesus schläft, seine Begleiter vergehen vor Angst. Kein Wunder, „die Wellen schlugen in das Boot, so dass das Boot schon voll wurde“, heißt es in der Geschichte. Den Jüngern stand das Wasser bis zum Hals. Sie weckten Jesus.

„Er sprach zu dem Meer: Schweig und verstumme“. … „Und es entstand eine große Stille“ …. – Still war es auf dem See, aber vielleicht auch in ihren Herzen: „nachdenklich still“ vielleicht oder „schockiert still“. Vielleicht fragt der eine sich: Was ist da passiert mit mir auf dem Wasser? Mein Vertrauen versank in den Wellen. Wie sollte ich noch hoffen können? An Gottes rettende Hand konnte ich nicht mehr glauben. Und wurde doch gerettet.

 

Als stille Betrachterin und Leserin bin ich mir sicher: Die Jünger gingen verwandelt von Bord. Der Sturm hatte sie an das Äußerste gebracht und die Stille auch. Sie nehmen mit an Land, was sie auf dem Wasser erfahren haben: Du kannst vertrauen. Gott ist da. Lass die Reling los. Gott hält dich. Mitten im Sturm. Auch wenn dein Schiff sinkt – Gott zieht dich heraus.

 

Lernen kann ich das nicht, so zu glauben: Dass mein Vertrauen auf Gott immer ein Quäntchen größer bleibt als die Angst um mein Leben. Ich kann nur Glauben erfahren und Glauben üben. Hoffen üben auf einen, der da ist, auch wenn es so aussieht als ob er schlafe. Und die Hände ausstrecken, damit Gott sie ergreifen kann. Die Jünger wurden gerettet gegen alles Zittern – daran werden sie sich vielleicht beim nächsten Mal erinnern. Und vielleicht schaffe ich das ja auch, wenn es einmal wieder brenzlig wird. . Und trage dieses „Bewahrt werden“ im Herzen – so bin ich gewappnet für das nächste Unwetter, das mich kentern lassen will.

 

Der Walfänger und Seefahrer Rörd Knudten hat sich offenbar immer wieder an seine Rettungen erinnert. Auf seinem Grabstein steht weiter unten: „Die göttliche Vorsicht hat er bei Beschiffung des größten Teils der nördlichen Erd- und Wasserkugel verehren und bei abwechselnden Schicksalen bekennen müssen: Der Herr hat Großes an mir getan.

Vom Meer bedroht und verwandelt zugleich. Auf der Fähre zurück denke ich noch mal an Rörd Knudten – heute liegt die Nordsee ganz friedlich. Ein paar Sonnenstrahlen kämpfen sich durch die Wolken. Ich nehme die Meer-Geschichten mit an Land.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

18.07.2019
Claudia Aue